Die Dorfschmiede in Großfahner

Nach einem Zeitzeugengespräch mit Margot und Karl Heinz Schulz.

Vor etwa 50 Jahren noch war die Schmiede neben den Werkstätten der Stellmacher, Wagner oder Tischler elementarer Bestandteil eines Dorfes. Hufbeschlag, das Herstellen und Aufziehen von Radreifen, das Schmieden von landwirtschaftlichen Geräten und Beschlägen aller Art und noch viel mehr gehörten zum Können eines guten Schmieds.
Heute jedoch ist es still geworden um dieses altehrwürdige Handwerk, dessen Geheimnisse und Traditionen schon vor Tausenden von Jahren von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Durch die Technisierung in der Landwirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg und dem damit verbundenen Wegfall der Arbeitskraft von Pferd und Rind erübrigte sich der Hufbeschlag. Das melodische Kling-Klang des Hammers auf dem Amboss und das Zischen des glühenden Eisens im Wasserbad verstummten zunehmend.
Werfen wir einen Blick in eine Zeit, in der das Schmiedehandwerk noch Lohn und Brot hatte und die Schmiede zum Dorf gehörte wie die Kirche. Dabei müssen wir gar nicht so weit zurück gehen. Die Dorfschmiede an der Hauptstraße in Großfahner wurde vermutlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet. Sie gehörte damals dem Schmiedemeister Jung. Aus dieser Zeit stammt eine „Zeichnung zum Umbau einer Schmiedewerkstätte für den Schmiedemeister Jung“. Sie zeigt die Lage der Schmiede und die Baulichkeiten, die sich innerhalb von etwa 80 Jahren nicht wesentlich veränderten. Peter Schulz, ein Schmiedehandwerksgeselle aus der Rheinpfalz, kam auf der Walz nach Großfahner. Er verliebte sich in die Tochter des Schmieds, Luise Jung, heiratete sie 1880 und übernahm die Schmiedewerkstätte später von deren Eltern. Sein Sohn Hermann Schulz (1881-1972) erlernte ebenfalls das Schmiedehandwerk von seinem Vater und übernahm die Werkstätte 1925 nach dessen Tod. Er wiederum gab sein Wissen an seinen Sohn Karl Schulz (1905-1967) weiter, welcher seinem Sohn Karl Heinz das Schmiedehandwerk beibrachte. Vielen Einwohnerinnen und Einwohnern wird Hermann Schulz noch bekannt sein. Auch den schwierigsten Pferden zwang dieser kräftige Mann mühelos das Eisen auf oder schmetterte soeben bereifte Räder zum Abkühlen in die Schwemme (Seebach, 1978). Wurde ein junges Pferd das erste Mal beschlagen, so hatte der Besitzer einen Kasten Bier auszugeben. Die Schmiede war mehr als ein Arbeitsplatz. Wenn die Landarbeit bei Regenwetter ruhte, trafen sich die Männer des Dorfes häufig in der rußgeschwärzten Schmiede und handelten alle möglichen Geschäfte aus oder wetteten, während die Frauen sich im Backs zum Plausch zusammenfanden. Bei verlorenen Wetten kam es schon einmal vor, dass der Verlierer den schweren Amboss um die Schwemme tragen musste. Auch war es ein ungeschriebenes Gesetz, zum Anzünden einer Zigarette nicht das Streichholz sondern ein Stück Schmiedekohle zu verwenden. Ein Umstand, welcher der Gesundheit nicht gerade zuträglich war. Verstöße wurden aber ebenfalls mit einer Runde Bier „geahndet“. Kam einmal der Schlotfeger nach Großfahner, verschwanden dieser und der Meister oft im Hamster zum Kartenspiel. Die Lehrlinge und Gesellen hatten dann einen ruhigen Tag. Da die Arbeit in der Schmiede gelegentlich nur wenig einbrachte, betrieb die Familie außerdem noch eine kleine Landwirtschaft, um sich mit Lebens- und Futtermitteln versorgen zu können.
Im Lauf eines Jahres fielen die verschiedensten Schmiedearbeiten an. Im Frühjahr mussten landwirtschaftliche Geräte repariert und ausgebessert werden und der Hufbeschlag für Pferde und Ochsen wurde ausgeführt, der etwa alle drei Monate erneuert werden musste. An einem Tag konnten mit zwei Mann vier bis fünf Pferde beschlagen werden, denn dieses war Knochenarbeit. Nahm der Schmied den Pferdehuf auf, so lehnte es mit seinem Gewicht auf ihm. Schwere Arbeitspferde wogen immerhin um die 20 Zentner. Für ein Pferd brauchte der Schmied etwa anderthalb bis zwei Stunden. Im Herbst kam es vor, dass der gemeindeeigene Schneepflug überholt werden musste, um ihn einsatzfähig zu machen. Dieser wurde noch mit Pferden gezogen. Im Winter gab es etwas weniger zu tun und der Schmied beschäftigte sich mit der Herstellung von Keilen, Beschlägen oder Ähnlichem. Das Material besorgte er sich vom Komturhof in Erfurt. Mit Pferdewagen und später mit dem Traktor wurde das Schmiedeeisen nach Großfahner transportiert. Jedes noch so kleine Stück Eisen fand seine Verwendung. Für den Hufbeschlag kaufte der Schmied fertige Rohlinge, an welche nur noch Griffe und Stollen angearbeitet werden mussten. Lediglich bei der Gesellenprüfung musste ein Hufeisen aus einen Stück Roheisen hergestellt werden. Dies verlangte dann das ganze Können des Prüflings. Seine Aufträge bekam der Schmied von den Landwirten oder er holte sie sich von der Gutsverwaltung. Der Hufbeschlag für die Pferde und Ochsen des Gutes oblag nur ihm und wurde ständig vergeben (Seebach,1978). Die Rechnungen wurden vom Meister noch mit der Hand geschrieben und dann vom Lehrling oder Familienangehörigen zum Kunden gebracht. Nach dem Krieg gab es Regelpreise, die eingehalten werden mussten. Ein Pferd beschlagen kostete etwa 15 bis 20 Mark. Von diesem Geld mussten alle Unkosten beglichen werden.
Mit der Mechanisierung begann der Niedergang des Schmiedehandwerks auch in Großfahner. Pferde und Ochsen wurden erst durch Dampfmaschinen und später durch Traktoren ersetzt. Die LPG richtete eine eigene Werkstätte für die Reparatur ihrer schweren Maschinen ein und das Aufkommen von transportablen und zudem erschwinglichen Elektroschweißgeräten ersetzte die Autogenschweißung mit Sauerstoff und Acetylen und machte viele Arbeiten, die früher in der Schmiede ausgeführt wurden, zu Hause möglich.
Hermann Schulz, der Schmied mit Leib und Seele war, hat den Abriss seiner Schmiede und den Tod seines Sohnes Karl nur schwer verwunden. Alt und unmodern geworden, musste die Schmiedewerkstatt Ende der 60er Jahre auch dem Straßenbau weichen. Mit ihr verschwand ein Stück Dorfgeschichte und eine lange Tradition fand ihr vorläufiges Ende. Ausgestorben ist das Schmiedehandwerk glücklicherweise noch nicht. Wenn es auch nicht mehr in jedem Dorf eine Schmiede gibt, so kann man hier und da doch noch einem Schmied bei seiner Arbeit über die Schulter schauen. Während die Pferde früher zum Schmied gebracht wurden, kommt dieser heute mit seinem Feuer und den Werkzeugen zu den Pferden, um ihnen das Eisen aufzuzwingen.
Die Schmiede an der Hauptstraße war nicht die einzige in Großfahner. Familie Büchner betrieb eine weitere in der Dachwiger Straße. Über die Geschichte dieser Schmiedewerkstatt wird noch zu berichten sein.

Herzlicher Dank gebührt Frau Margot Schulz (†) und Herrn Karl Heinz Schulz für das Gespräch und die zeitweise Überlassung alter Familiendokumente und Fotos.

Literatur:
Seebach, A. Frhr. von (1978): Mit dem Jahrhundert leben – Eine Familie im sozialen Wandel. Holzberg, Oldenburg.

Seymour, J. (1998): Vergessene Künste – Bilder vom alten Handwerk. Urania, Berlin.