Das Kriegsende 1945 in Großfahner

Eiligst ausgehobene Schützengräben zur Verteidigung des Dorfes waren noch nicht fertig gestellt. Mit der Schnelligkeit des amerikanischen Vormarschs hat in Großfahner niemand gerechnet. Es ist zwei mutigen Bürgern zu verdanken, dass Großfahner in diesen Tagen von den amerikanischen Truppen nicht beschossen wurde. Olga Nöthlich organisierte ein altes weißes Bettlaken und der Landwirt Fritz Brill befestigte es in der Nacht an der Kirchturmspitze. Anschließend verbarrikadierte er sich im Keller des Schlossgasthofes, in der Hoffnung, dass dort niemand nach ihm suchen würde. Den Schlüssel zum Kirchturm versteckte er. Beide riskierten im letzten Moment des Krieges ihr Leben um das vieler anderer zu retten.
Die amerikanischen Truppen kamen von Süden über die Fahner Höhe. Sie besetzten die ersten Häuser an den Ortseingängen sowie an allen wichtigen Straßenkreuzungen. Olga Stichling, Familie Weiss, Familie Fleischmann und viele andere mussten ihre Häuser räumen und bei Freunden oder Verwandten unterkommen. Nur zum Versorgen der Tiere durften sie ihre Gehöfte betreten.
Panzer wurden unter anderem am Schenkshof, in der Langen Gasse und in der Eschenberger Straße aufgestellt. Mit drei Mann, in der Regel waren das ein Offizier und zwei farbige Mannschaften, wurden alle Häuser nach Waffen, Munition und NS-Symbolen durchsucht. Die Menschen hatten für den Ernstfall meist vorgesorgt. Kissen, Wolldecken, Wasser und Verpflegung wurden in die Keller geschafft oder Konserven irgendwo im Garten vergraben.
Am Hasenacker nahm die Artillerie mit sechs Geschützen Stellung. Die Kirschen standen schon in voller Blüte als die Geschütze zwischen die Bäume gefahren und die Äste zur Tarnung heruntergehackt wurden. Das Ziel des Beschusses war Gebesee. Auch im Schaffenstiel, einer kleinen Gasse zwischen der Eschenberger Straße und der Hintergasse, nahm ein Geschütz Stellung und beschoss Döllstedt und Herbsleben. Es war der Hof von Fritz Neubert in Döllstedt, der am schlimmsten getroffen wurde.
Um den Nachschub und die Benzinversorgung zu sichern, wurden von den Amerikanern alle 500 Meter riesige Benzin- und Ölfässer an den Straßenrändern abgestellt. Sie sollten die großen Fahrzeugkolonnen versorgen, die sich weiter nach Nordosten bewegten. Die Versorgungslage war allgemein sehr angespannt, obwohl niemand fürchten musste, um Lebensmittel bestohlen zu werden. Lediglich Eier wurden von den Soldaten verlangt, weil sie dachten, dass man diese nicht vergiften konnte. In der Langen Gasse wurde eine Feldküche eingerichtet. Die Soldaten wurden mit Lebensmitteln versorgt, die es in Deutschland seit Jahren nicht mehr zu kaufen gab. Viele Soldaten schenkten den Kindern im Ort Schokolade, ein besonderer Genuss, der vielen in Erinnerung blieb. Weisungen der Besatzer wurden vom Ausrufer Otto Hagenbring immer aktuell verbreitet. Alle Waffen, Radios und Photoapparate mussten abgeliefert werden. Die Waffen wurden inspiziert und am Schenksmast zerstört. Es kam auch vor, dass sie von den Soldaten als „Kriegssouvenir“ einbehalten wurden. Plünderungen fanden ebenfalls statt und wertvolle antike Gegenstände etwa aus dem Schloss wurden entwendet. Der Schlossgraben war es auch, der das besondere Interesse der Besatzer weckte. Es wurde verraten, dass Waffen aus dem Schloss und dem Hamster in diesen geworfen wurden, um sie nicht dem Feind in die Hände fallen zu lassen. Die Feuerwehr musste den Graben auspumpen und die Amtwalter der NSDAP hatten die Aufgabe, die Waffen aus dem Schlamm zu bergen. Sie wurden abgewaschen, nach Döllstedt transportiert, in eine Lehmgrube abgekippt und vergraben. Die Besatzer verhängten auch eine strenge Ausgangsperre. Die Missachtung dieser zog schwere Konsequenzen nach sich.
Als die Amerikaner Thüringen räumten, machte sich unter der Bevölkerung Angst breit. Sie hatten von den Übergriffen der russischen Soldaten auf Frauen gehört und fürchteten nun das gleiche Schicksal. Eine Weisung des russischen Militärs sollte jedoch solche Vorfälle verhindern, damit der Ruf der Besatzer nicht noch weiter beschädigt wird.
Die Russen kamen mit Pantjewagen, kleinen Holzwagen mit einem Gespann davor. Ihr „Urrrrääääh“ war schon von Weitem zu hören. Als sie auf der Dachwiger Chaussee in das Dorf einfuhren, sahen die Bewohner, dass die Soldaten ausgehungert und ohne richtige Uniformen waren. Ihre Schädel waren kahlgeschoren und sie trugen nur ein Krätzchen auf dem Kopf. Sie stahlen und plünderten alle Vorräte, da sie kaum etwas zu essen hatten. Lediglich durch ihre mitgebrachten Viehherden konnten sie sich mit Fleisch versorgen. Im Schloss, die Familie von Seebach war zuvor ausquartiert worden, wurde eine Militärkommandantur eingerichtet. Die Soldaten raubten, plünderten und nahmen sich, was sie wollten. Übergriffe auf die Bevölkerung sind hingegen nicht bekannt. Die Amtsinhaber der NSDAP wurden gefangen genommen und in Straflager nach Buchenwald oder weiter nach Osten deportiert. Wenige kehrten nach Hause zurück.
Der 8. Mai 1945, der Tag des offiziellen Kriegsendes in Europa, ist vielen Menschen in Erinnerung geblieben. Nicht als ein Tag der Befreiung oder etwa der Kriegsniederlage. Für sie stand das Leben und Überleben nach dem Krieg inmitten von Trümmern und Chaos im Mittelpunkt. Es war die Stunde Null.