Der Hexenprozess zu Großfahner im Jahre 1667

Von Lehrer Richard Lerp – Großfahner, 1934

Zu den trübsten Zeiten deutscher Vergangenheit gehören jene drei Jahrhunderte von etwa 1400 ab, in denen der wahnsinnige Glaube an Hexen in unserem Volke herrschte. Hunderte unschuldiger Menschen, in der Hauptsache Frauen, wurden alljährlich diesem Wahn geopfert. Der Hexenprozess zu Großfahner zeigt uns das Wesen des Hexenglaubens in aller Deutlichkeit.

Seinen Anfang nahm dieser Prozess im Jahre 1665. Damals lebte in unserm Heimatdorfe der Gemeindehirte Hans Ritter. Er war, wie alle Hirten seiner Zeit, eine angesehene Person. Hatte er doch das ehrenvolle Amt zu verwalten, das Vieh der Bauern zu betreuen. Ihm lag auch ob, die Schafe, deren es nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder viel mehr gab, auszutreiben. Mehrere Schafknechte unterstützten ihn in seinem verantwortungsvollen Beruf.

An einem Frühlingsmorgen trieb Hans Ritter seine Schafherde der Fahnerschen Höhe zu. Er überquerte dabei ein Grundstück, das einer Frau namens Martha John gehörte. Mit dieser Frau hatte es eine eigene Bewandtnis. Die sonderbarsten Gerüchte waren über sie verbreitet. Sie sollte allerlei geheime Künste verstehen und an manchem Unglück im Dorfe schuldtragen. Zweimal war sie schon wegen zauberischer Händel angeklagt gewesen. Infolge Mangels an Beweisen war sie aber freigesprochen worden. Als Martha Johnin den Schaden auf ihrem Acker gewahrte, den ihr Hans Ritter mit seiner Herde zugefügt hatte, war sie empört. Sie eilte zum Gemeindehirten und in ihrer temperamentvollen Art überhäufte sie ihn mit den derbsten Schimpfnamen. Zuletzt rief sie noch: „Hüte dich nur, sonst wird dir’s auch so ergehen wie dem Adam Ziske!“ – Der Schneider Adam Ziske war vor Jahren an einer Krankheit gestorben, für welche die Ärzte keine Erklärung fanden. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um Gicht, denn nach den Akten ist viel von einem „Zerren und Reißen in den Gliedern“ die Rede. – Wenige Monde nach diesem Vorfall wurde der Gemeindehirte Hans Ritter krank. Er bekam ein „dunstiges Gesicht“ und litt an Zucken und Reißen im Körper. Seine Glieder wurden mit den Wochen immer ungelenker. Eine Erklärung für seine Krankheit wussten die Ärzte nicht zu finden. Er beschuldigte nunmehr die Martha Johnin, dass sie ihn ebenso wie den Adam Ziske behext habe. Das ließ sich die Martha Johnin nicht gefallen. Sie erstattete Anzeige bei den Ältesten der Gemeinde. Diese berichteten dem Patrimonialgericht (Gutsherrengericht) in Großfahner, dass der Gemeindehirte Hans Ritter die Martha Johnin beschuldigte, sie habe ihm eine Krankheit angehext. Daraufhin wurden die Eheleute John sowie Hans Ritter vernommen und konfrontiert (gegenübergestellt). Auch eine Anzahl Zeugen wurden geladen und verhört. Das Patrimonialgericht war im Zweifel, was zu tun sei und wandte sich mit der Bitte um Raterteilung an die nächsthöhere Instanz, den Schöppenstuhl in Jena.

Der Schöppenstuhl in Jena antwortete: „Stellt Erhebungen an und verhaftet die Martha Johnin sofort!“. Das geschah. Die ursprüngliche Klägerin wurde also verhaftet. Die Martha Johnin wurde in den noch heute auf dem Schieferschlosse vorhandenen Hexenturm gesperrt. Auch die angeordneten Erhebungen fanden statt. Es wurden über zehn Zeugen – darunter Schneider, Biermann, Ungewitter – vernommen und außerdem noch die Pfarrer und Schuldiener von Großfahner, Tröchtelborn und Bufleben. Die Pfarrer sagten u.a. aus: „Die Martha Johnin hat zwar in der Konfirmandenstunde nie recht aufgepasst, aber sonst können wir ihr nichts Schlechtes nachreden“. Die übrigen Zeugen bekundeten alle übereinstimmend, dass Martha Johnin in schlechtem Ruf stände; aus eigener Anschauung aber wüssten sie nichts. Der Martha Johnin wurden darauf bestimmte Fragen vorgelegt. Sie stellte aber jegliche Schuld entschieden in Abrede. Das Patrimonialgericht berichtete abermals an den Schöppenstuhl in Jena und bat um Anweisung, was ferner geschehen sollte. Bisher sei bei der Sache nicht viel herausgekommen. Die Martha Johnin leugne und bitte, dass Sie zumindest gegen Kaution aus der Haft entlassen werde. Die Antwort aus Jena lautete: „Die Martha Johnin soll einen Monat Zeit erhalten, um ihre Unschuld darzutun, inzwischen aber in Haft behalten werden“. Nunmehr wandte sich der Ehemann der Martha Johnin in zwei Eingaben an den Landesherrn, den Herzog Ernst den Frommen, mit der inständigen Bitte, „die Sache seiner Ehefrau zu prüfen und sie, die gefänglich gesetzt und bey 3 Wochen in einem unverdachten Turm in solchem Regenwetter und Kälte gesessen, dass sie hierdurch um ihren gesunden Leib gebracht wird, und die täglich überdies von 2 Musketieren bewacht werde, wenigstens gegen Kaution aus der Haft zu entlassen.“ Der Herzog wies das Patrimonialgericht wiederholt an, die Sache zu beschleunigen; die Genehmigung zur Haftentlassung erteilte er jedoch nicht. Es sollten aber die Entlastungszeugen, die die Martha Johnin vielleicht aufrufen würde, gehört werden. Das geschah auch. Die von der Martha Johnin benannten Entlastungszeugen wurden alle unter Eid vernommen. Wenn auch von ihnen keiner etwas sie bestimmt Belastendes aussagen konnte, so bestätigten doch alle, dass Martha Johnin in dem Ruf einer Zauberin stehe. Martha Johnin blieb bei der Beteuerung ihrer Unschuld: „Gott wird mir wohl helfen, auch in größter Not“.

Nun kamen aber als neue Zeugen, die sie viel schwerer als bisher belasteten, zu den bereits vernommenen hinzu: Hans Proban, Hans Gewalt, Matthäus Hessenlandt aus Gebesee und Christiane Müntzel, eine Dienstmagd der Herren von Seebach. Hans Proban sagte aus: „Eines Abends ging ich mit mehreren anderen aus der Kirche heim. Als ich an das Haus der Martha Johnin kam, bemerkte ich im Hausflur einen hellen Feuerschein. Ich drang in das Haus ein. Da kam mir dichter Dampf entgegen. Martha Johnin aber war sehr verlegen und gab an, es sei zufällig ein Bündel Stroh in Brand geraten“. Hans Gewalt bezeugte: „ Ich wollte eines Abends mit einem anderen Manne nachts um 2 Uhr nach Gotha fahren. Als wir mit dem Anschirren beschäftigt waren, kam Martha Johnin vorbei mit einer Schürze, in der sich angeblich Rübsamen befand. Sie wünschte „Guten Abend“ und huschte vorüber. Mein Begleiter wurde in Gotha plötzlich krank und starb. Das hat Martha Johnin mit ihrem „Guten Abend“-Gruß verschuldet“. Der dritte Zeuge, Matthäus Hessenlandt aus Gebesee berichtete: „Ich ging eines Abends durch Großfahner. Da merkte ich plötzlich, wie über mir im Nebel der Teufel nach dem Haus der Martha Johnin zuflog.“ (Wahrscheinlich handelte es sich um eine Eule, die der Zeuge in seiner Teufelsangst für Beelzebub selbst angesehen hat.) Die Christiane Müntzel versicherte: „Ich stand eines Abends auf der Freitreppe des Schlosses. Da fuhr der Teufel im feurigen Strahl vom Himmel in das Haus der Frau Martha Johnin hinein“. (wohl eine harmlose Sternschnuppe, die den ausschlaggebenden Beweis für ein Todesurteil geliefert hat).

Daraufhin wurde nun wiederum nach Jena berichtet: „Wir haben der Martha Johnin, wie Ihr angeordnet habt, die Frist von einem Monat gesetzt und die Sache auf des Herzogs befehl nach Möglichkeit beschleunigt. Wir haben den Eheleuten John alle möglichen Gelegenheiten gegeben, die Unschuld der Martha Johnin darzutun. Aber nicht das Ent-, sondern das Belastungsmaterial ist gewachsen. Gebt uns Anweisung, was nun ferner geschehen soll, insbesondere darüber, wer das Bier für die Wächter bezahlen soll!“ Es mussten jede Nacht zwei Mann bei der Martha Johnin wachen. Zu diesem Dienst waren auf Vorstellung der Großfahnerschen auch Gierstädter mit zugezogen worden. Der Schöppenstuhl antwortete: „Der Martha Johnin sind nochmals bestimmte Fragen vorzulegen. Gesteht sie nicht, so sollen die Fragen auf der Folter wiederholt werden.“ Die Martha Johnin leugnete natürlich und nun schrieben die Gerichtsherren dem Scharfrichter die Tortur vor. Die Martha Johnin sollte auf eine Leiter gebunden und mit der Daumenschraube und dem Spanischen Stiefel gefoltert werden.

Nach fünfstündiger harter Folter gestand Martha Johnin folgendes: „Ich bin eine Hexe, der Teufel ist in Gestalt eines Kriegsknechtes zu mir gekommen. Er hat Curt geheißen und mich mit Wasser auf seinen Namen ungetauft. Ich bin mit ihm auf den Blocksberg gefahren. Er hat vorn auf dem Besen gesessen und ich hinten. Auf dem Blocksberg habe ich mit meinem Curt und anderen Hexen getanzt. Gott habe ich abgeschworen. Ich habe „15 würme wie fliegen gebohren.“ Die habe ich zu Pulver gebrannt und dem Hirten Hans Ritter vor seine Haustür gestreut. Er ist darüber weggegangen und davon rührt seine Krankheit her. Ich bitte Euch, verbrennt mich nicht, sondern richtet mich mit dem Schwert. Dass ich den Tod verdient habe, sehe ich nunmehr selbst ein.“ Gleich darauf bat auch der Ehemann John mit seinen Kindern um Vollstreckung des Urteils. Er schrieb, er würde sich nie für seine Frau verwandt haben, wenn er gewusst hätte, dass sie eine Hexe sei. Jeder Tag, den sie länger lebe, würde ihm und seinen Kindern zum Schaden gereichen. Baldige Vollstreckung liege daher in seinem eigenen Interesse. Der Gemeindehirte Hans Ritter dagegen bat die Gerichtsherren, sie möchten die Martha Johnin und ihre Familie anhalten, ihn für die Krankheit, Not und Angst, an der allein Martha Johnin schuld sei, schadlos zu halten. Die Gerichtsherren schrieben nun nach Jena: „Die Martha Johnin hat gestanden; aber wohl noch nicht alles; insbesondere noch nicht, wem sie alles noch das Hexen gelehrt hat. Soll die Folterung fortgesetzt werden? Die Verwandten bitten um Vollstreckung des Urteils.“ Die Antwort lautete: „Die Martha Johnin soll verbrannt werden. Die Kosten sollen die Gerichtsherren tragen.“ Es erfolgt nun die Einladung des Henkers seitens der Gerichtsherren; „er soll ganz heimlich, ohne großes Aufhebens kommen.“ Die Hinrichtung scheint sehr still vor sich gegangen zu sein. Sie erfolgte nicht wie sonst auf dem Galgenberg, wo sie als Volksfest gefeiert wurde, sondern auf dem Heiligen Hügel, der nördlich davon zwischen Dachwig und Großfahner liegt und wahrscheinlich in alter Zeit eine Opferstätte gewesen ist. Noch heute führt zu ihm der Heilige Weidenweg, der längs des Jordans läuft. Für den Scheiterhaufen wurden 24 Bündel Stroh und 5 Klafter Holz angefahren. In den frühen Morgenstunden des 13. Septembers 1667 loderten die Flammen des Holzstoßes auf dem Heiligen Hügel empor. Der Henker half der Martha Johnin bei der Verbrennung an der Säule bald mit dem Strange nach. Martha Johnin hatte ausgelitten. Acht Tage später wurde auch der Hirte Hans Ritter von seiner Krankheit durch den Tod erlöst.

Nachricht des Herausgebers:

Zu obigem Aufsatz kann man mit Geibel sprechen:

„Glaube, dem die Tür versagt,

steigt als Aberglaub ins Fenster;

Wenn die Götter ihr verjagt,

kommen die Gespenster.“

Dazu noch ein Wort Pestalozzi’s:

Unglauben ist die Quelle der Vernichtung

aller inneren Bande der Gesellschaft.

Der Originaltext erschien 1934 in den Heimatglocken – Evangelisches Gemeindeblatt für die Kirchgemeinden Großfahner, Kleinfahner und Gierstädt. 2. Jahrgang, Nr. 1, Jan./Februar 1934. Die Schilderung des Hexenprozesses von Großfahner wurde hier nahezu unverändert übernommen, nur gegebenenfalls die Schreibweise etwas angepasst.

Ortschronist Dietmar Kästner schrieb in der Ausgabe Nr. 7 für November/Dezember 2006 des „Fahnerschen Heimatboten“ als Zusammenfassung seines Vortrags über die „Hexenverfolgung im Großfahner der zweiten Hälfte des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts“ vom 6. Oktober des Jahres:

Leider sind uns die Quellen, aus denen Richard Lerp sein Wissen nahm, nicht bekannt. Meine Suche nach diesen Quellen hat mich zu Rudolf Rasch geführt, der in den „Mitteilungen der Verei­nigung für Gothaische Ge­schichte und Altertums­forschung“ Jahrgang 1901 ebenfalls den „Hexen­prozess aus dem See­bach­schen Gericht (1667)“ ausführlich schil­derte. Die­se Schil­derung weicht an einigen Stellen von der des Lehrer Lerp ab. Unter anderem wird von Rasch ausgeführt: “Sie (Martha Johnin) gibt vier Weiber an, die sie zum Hexentanz gesehen haben will, bittet aber, diese nicht eher zu vernehmen, bis sie ihr Recht ausgestanden, weil sie sich mit ihnen ungern keifen und hadern wollte.“ Aus einer weiteren Fundstelle geht hervor, dass im Oktober 1667 gegen die siebzigjährige Christine Eckart wegen verdächtiger Hexerei in Großfahner der Inquisitionsprozess verfügt worden sei. „Die Seebachschen Gerichtsverwalter hatten zuvor eine andere Verdächtige, die Margarethe Schäffer, der Hexerei überführt, und diese hatte auf fünf Mitschuldige, darunter auf die Eckart bekannt.“ Am Tag, wahrscheinlich Anfang November, als der Margarethe Schäffer ihr Todesurteil verkündet wird, kommt es zur Gegenüberstellung mit der Christine Eckardt. Margarethe Schäffer bleibt bei ihrer Beschuldigung, „dass die Eckardt mit ihr in der Walpernacht (Walpurgisnacht) die Teufelstänze besucht habe“. Obwohl Christine Eckardt „lebhaft und energisch“ widerspricht, der Prozess gegen sie ist nicht mehr aufzuhalten. Bis zum Verhör der Christine Eckardt vergehen acht Monate. Am 10. Juli 1668 findet er statt. Sie war vom ehemaligen Pfarrer der Gemeinde, von Zeugen und Nachbarn mit Vorwürfen, über die wir heute wegen ihrer Naivität, Angst und Unwissen nur ungläubig den Kopf schütteln können, schwer belastet worden. Diese lagen teilweise bereits Jahrzehnte zurück. Auch bei der Gegenüberstellung blieben die Zeugen bei ihren Beschuldigungen. Die Zeugenaussagen sind sehr ausführlich überliefert. Die Hinrichtung der Christine Eckardt fand Anfang November 1668 statt. Sie wurde mit dem Schwert gerichtet, dies war eine Form der Begnadigung durch den Landesherrn, aber danach musste ihr Körper noch verbrannt werden. Eine weitere Hexenverfolgung fand in unserer Gemeinde vor 1705 statt, dieser Prozess endete mit einem Landesverweis der Beschuldigten. Eine Quelle zu dieser Hexenverfolgung ist mir bekannt, muss aber noch näher erforscht werden. Bei diesen Ausführungen wurde auf eine historische Einordnung, auf die Ursachen, die räumlichen und zeitlichen Ausmaße und die Anzahl der Menschen die von Hexenverfolgung in Europa betroffen waren, auf Ausführungen zum Hexenhammer, die Hexenvorstellungen unserer Ahnen und ihrer Zeit verzichtet. Wer sich näher mit diesem Thema befassen möchte, findet im untenstehenden Literatur­verzeichnis umfangreiche Informationen. Dietmar Kästner

Literatur:

Lerp, R. (1934): Der Hexenprozeß zu Großfahner im Jahre 1667 in: Heimatglocken, Evangelisches Gemeindeblatt für die Kirchgemeinden Großfahner, Kleinfahner und Gierstädt.

Rasch, R. (1901): Gothaische Hexenprozesse, in: Mit­teilungen der Vereinigung für Gothaische Geschichte und Altertumsforschung.

Schneider, G. (1896): Georgenthal-Tambacher Wegweiser. Gotha.