Die Dorfschmiede auf der Dachwiger Chaussee

Nachdem wir die Vergangenheit der alten Dorfschmiede der Familie Schulz an der Hauptstraße bereits beleuchtet haben, soll nun die wechselvolle Geschichte der Schmiede von Familie Büchner erzählt werden.

Dazu müssen wir zurück in das Jahr 1848, denn da wurde Heinrich August Louis Lipprandt geboren, der nach seinem Vater Christian Lorenz Lipprandt als Schmiede­meister in eben jener Schmiede arbeitete und lebte. Ja richtig, lebte. Die Schmiede war Teil des Wohn­hauses und um in die Schlaf- und Wirtschaftsräume zu gelangen, musste man durch die Schmiedewerkstatt durch. Das ist insofern ungewöhnlich, da diese üblicherweise in einem anderen Gebäude untergebracht war, um Lärm- und Schmutzbelastungen zu vermeiden. Nicht so hier, wo der Rauch des Koksfeuers manchmal bis in die Schlafzimmer zog und alles mit einer feinen schwarzen Rußschicht bedeckte. Gestört hat das damals aber wenig. Wahr­scheinlich aber war es, verbunden mit der schweren Ar­beit, der Gesundheit abträglich denn Louis Lipprandt ist nur 47 Jahre alt geworden. Er starb 1896. Zusammen mit Friedericke Pauline Frank, die er 1876 heiratete, hatte er drei Kinder: Rosa, Arno und Karl. Als beide Eltern früh starben, waren Arno und Karl noch minderjährig und so war es an Rosa, das Elternhaus zu bewirtschaften. Arno lernte ebenfalls das Schmiedehandwerk und Karl wurde Stellmacher. Aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen verließen sie jedoch Großfahner um sich anderswo niederzulassen. Der Schmiede­betrieb ruhte nach dem Tod Louis’ Lipprandts für etwa vier Jahre bis um 1900 der Schmiedemeister Otto Graue aus Rockhausen bei Erfurt nach Großfahner kam und Rosa Lipprandt zur Frau nahm. Rosa schenkte Otto Graue wiederum drei Kinder: Ida, Ella und Johanna. Ella heiratete im August 1931 den 1904 in Mengersgereuth-Hämmern geborenen Schmied Bernhard Büchner, der im Jahr zuvor nach Großfahner kam. Die Schmiede musste schließlich weiterbetrieben werden um der Familie den Lebens­unterhalt zu sichern. Ella und Bernhard wurden fünf Kinder geboren: Eberhard, der noch heute von Zeit zu Zeit als Schmied im verdienten Ruhestand arbei­tet, Freya, Ingrid, Bernhard und Erhard. Nach Otto Graue, der 1936 ver­starb, übernahm Bern­hard Büch­ner die Schmiede, bis sein Sohn Eberhard sie 1953 wiederum als Meister über­nahm. Zwischen 1948 und 1953 war die Schmiede an Alfred Barth verpachtet, da Bernhard Büchner nach 1945 als ehemaliges Parteimitglied der NSDAP1 in einem Sonderlager des NKWD2 inhaftiert und 1947 nach Russland verbracht wurde, wo er im November verstarb. Eberhard Büchner erlernte das Schmiedehandwerk von 1947 bis Oktober 1950 bei Obermeister Rudolf Walter in Bad Langen­salza. Diese Firma hatte damals 13 Beschäftigte und vier Lehrlinge. Später arbeitete er dann bei Schmiedemeister Egon Röhn in Nägelstädt und von Juni bis Oktober 1953 besuchte er einen Hufbeschlaglehrgang in Jena, wo er sich das theoretische und praktische Wissen des Hufbeschlags aneignete. Dazu gehörte nicht nur die Herstellung und das Anpassen der Hufeisen sondern auch das Wissen um Krankheiten des Pferdehufes, mögliche Fehl­stellungen und deren Korrekturen damit die Arbeitskraft des Pferdes möglichst lange erhalten blieb. Die Prüfung zum Meister des Schmiedehandwerks legte er am 2. August 1953 in Vieselbach ab. Das Meisterstück: ein Sitzbockklappscharnier.

Soviel zur Familiengeschichte. Wie sah nun der Alltag eines Schmieds und seiner Familie aus? Zunächst einmal sei gesagt, dass die beiden Schmiedewerkstätten im Ort keine Kon­kurrenten waren. Selbstverständlich gab es Kunden, die ihre Arbeiten lieber zu einem bestimmten Schmied brachten, doch im Großen und Ganzen war es ein wohlwollendes Nehmen und Geben. Die Schmiede auf der Chaussee war zum Beispiel auf die Herstellung von Metallteilen für luftbereifte Gespannwagen spezialisiert und lieferte diese an den Stellmacher Paetow, der seine Werkstatt direkt gegenüber hatte. Als die ersten Autos aufkamen spezialisierte man sich auch auf deren Reparatur, beschaffte Ersatzteile und verbaute diese. Es verwundert daher kaum, dass Bernhard Büchner bereits 1937 eine stationäre Tankstelle errichtete um die Fahrzeuge mit Benzin versorgen zu können. Diese ging 1938 in Betrieb, wurde aber leider 1939 mit Ausbruch des 2. Weltkrieges wieder geschlossen. Die Rationierung hatte nicht nur bei den Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs sondern auch beim Benzin zugeschlagen. Der Verkauf von Benzin sollte, wie bei einigen anderen Hand­werkern im Ort auch, das zweite Standbein werden, doch es kam eben anders. Neben diesen Tätigkeiten wurden aber auch Landmaschinen aller Art repariert und im Winter, wenn die Landwirtschaft ruhte, fertigte der Schmied Spaltkeile und Äxte für den Holzeinschlag im Wald an. Aber auch die Herstellung von Beschlägen, Radreifen und der Hufbeschlag von Pferden wurden über­nommen. Dazu gab es am Haus eine kleine Durchfahrt, in der die Pferde beschlagen oder defekte Wagen repariert werden konnten. Die Aufträge kamen von den Bauern, der Gutsverwaltung oder von den Betrieben im Ort, z.B. der Saatguthandlung Siegfried. Es gab eigentlich immer etwas zu tun, manchmal so viel, dass die Arbeit kaum zu bewältigen war. Die Schmiede war aber nicht nur Arbeitsplatz sondern nach Feierabend auch ein gesell­schaftlicher Treffpunkt. Hier trafen sich die jungen Leute und tauschten Neuigkeiten aus, Geschäfte wurde beschlos­sen und auch so mancher Unfug angestellt.

Besonders interessant ist auch die Begebenheit, dass um das Jahr 1871 ein Reinhold Lipprandt, wahrscheinlich ein Bruder oder Cousin Louis Lipprandts, nach Amerika aus­wan­derte. Louis Lipprandt baute damals landwirtschaftliche Geräte und Pflüge die dann nach Amerika verschifft wurden. Die Lipprandts betrieben also ein kleines Exportgeschäft. Nach­weislich kamen noch bis in die 20er Jahre des vergangenen Jahr­hunderts Briefe aus Amerika in Großfahner an. Leider ist darüber aber nicht mehr viel bekannt. Ab 1936 wurde auch die Installation von Hauswasserleitungen vom Schmied ausgeführt. Die nötigen Rohre und Anschlüsse lieferten damals die Firmen Ernst Schilling und Albin Linz in Erfurt. Gas und Sauerstoff zum Schweißen lieferte das Acethylenwerk Erfurt mit der Bahn bis zum Bahnhof Döllstedt. Von da aus wurden die Flaschen mit dem LKW von Arthur Rahardt nach Großfahner gebracht. Die Aufgaben des Schmieds wandelten sich mit der Zeit und der technischen Entwicklung. Im Jahr 1960 fand die Gründungs­versammlung der PGH3 Fahrzeugbau Großfahner statt. Die Schmiede wurde noch bis etwa 1963 von Eberhard Büchner betrieben. Ab dann wurden die Schmiedearbeiten von ihm in der PGH ausgeführt, die 1972 in den VEB4 Campinganhänger Großfahner umge­wandelt wurde. Hier wurde später der populäre und im ganzen Land bekannte Campinganhänger „Friedel“ hergestellt, neben Bau­stellen­anhängern, Zirkuswagen und verschiedensten Auf­bau­ten für Transportwagen.

Man kann sich nach dem kurzen Abriss dieser Familien- und Handwerksgeschichte nun fragen, ob der damals geläufige Spruch:  „Das Schmiedeblut, das edle Gut, dass viel versäuft und wenig tut.“ Gültigkeit besessen hat.

Wir danken Herrn Eberhard Büchner für das Gespräch und die zeitweise überlassenen Fotos und Zeichnungen.

1. NSDAP – Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei.

2. NKWD (Narodnyj komissariat wnutrennych del) – sowjetisches Volkskommissariat für innere Angelegenheiten.

3. PGH – Produktionsgenossenschaft des Handwerks.

4. VEB – Volkseigener Betrieb.