Die „Türkine“ stirbt nicht aus

Die Charaktersorte des Kirschenanbaus an den Fahnerschen Höhen ist wieder im Handel erhältlich.

Ein Bericht von Ingo Rintisch, Herbsleben. Verändert und ergänzt.


Vor einigen Wochen erschien in der Thüringer Allgemeinen Zeitung Ausgabe Erfurt Land ein Leserbrief von Gärtnermeister Ingo Rintisch aus Herbsleben. Da der Text aus verschiedenen Gründen gekürzt wiedergegeben wurde, sandte uns Ingo Rintisch auf Anfrage nun das Original nebst einem Foto der Früchte, die Hans-Dieter Wellner ihm im Juli 2014 brachte. Beide veröffentlichen wir an dieser Stelle und möchten damit auch ein bisschen Werbung für diese alte, traditionelle Obstsorte machen. In Großfahner stehen schon ein paar neue Türkinen. Wann holen Sie sich ihren Baum?


Als Anfang Juli 2014 Herr Heinz-Dieter Wellner mit einem Zweig frischer, hellroter Kirschen in unsere Gärtnerei kam, war die Freude groß. Es handelte sich um eine Süßkirschsorte, die um 1900 die Hauptsorte des ganzen Anbaugebietes war. Gefunden hatte er sie in einem aufgelassenen Kalksteinbruch am Rande der Fahnerschen Höhen.

Recherchen von Frau Dr. A. Braun-Lüllemann aus Hohengandern, Deutschlands ausgewiesener Expertin auf dem Gebiet der Sortenkunde für Kirschen und Pflaumen, bestätigten die Echtheit der Sorte. Es handelt sich zweifelsfrei um die Flamentiner Kirsche; in Thüringen ist sie als Türkine vielen älteren Menschen sicher noch ein Begriff. Doch nur der Name ‚Türkine‘ hat sich durchgesetzt.

Der kleinfahnersche Pfarrer Johann Volkmar Sickler (1742-1820) erwarb bereits in den 1770er Jahren Reiser der Sorte von Oberpfarrer Christ aus Kronberg am Taunus. Die Sorte selbst stammt wahrscheinlich aus der Nähe von Angers (Frankreich) und lässt sich bis in die Zeit vor 1700 zurückverfolgen.

In Pfarrer Sicklers Baumschule wurde die Sorte dann gezielt vermehrt und verbreitete sich danach stark im Fahnerschen Kirschanbaugebiet. Um 1900 sollen rund 20.000 Hochstämme allein von dieser Sorte in den Kirschendörfern der Fahnerschen Höhen (Gierstädt sowie Groß- und Kleinfahner) gestanden haben.

Die Sorte bildet auf Vogelkirsche veredelt riesige Bäume. Die mittelgroße Frucht reift in der 2.-3. Kirschwoche, ist gelb-rot gefärbt mit nichtfärbendem Saft. Sie wird zu den Herzkirschen gezählt, die in der Regel weichfleischiger, saftreicher und aromatischer als die heutzutage dominierenden Knorpelkirschen sind. Nachteilig ist die Empfindlichkeit gegenüber Regen, Sturm und Hagel zum Zeitpunkt der Ernte: die Frucht wird dann unansehnlich. Eine Besonderheit macht die Sorte aber trotzdem für unsere Region interessant; sie verlangt mittlere Böden auf Muschelkalk, so wie er häufig im Thüringer Becken vorkommt. Nur hier waren die Bedingungen ideal, andernorts hatte der Erwerbsanbau wenig Sinn, da die Baumgesundheit und die Erträge nicht befriedigten.

Nach 1945 wurden hier kaum noch Bäume dieser Sorte gepflanzt. Die wirtschaftlichen Zwänge machten den Hochstammanbau der Süßkirsche fragwürdig, der Kunde bevorzugte eher schwarze, feste Kirschen und der Handel tolerierte keine Flecken mehr. Die Bestände der Fahnerschen Hauptsorte schrumpften mehr und mehr. Ob heute noch weitere Einzelexemplare in der Region existieren, kann von hier aus nicht beurteilt werden. Weitere nachgewiesene Standorte der Sorte befinden sich um Witzenhausen und in Hagen am Teutoburger Wald, wo sie zur Kirschsorte des Jahres 2012 gekürt wurde.

Eine Wiedereinführung dieser Sorte in das Liebhabersortiment ist sicher. Eine Veredelung auf die heute gebräuchlichen schwachwüchsigen Typunterlagen (z. B. GiSelA 5) ist angeraten. Die Verträglichkeit von Sorte und Unterlage ist gegeben. Für die Verwendung in der freien Landschaft z.B. auf Streuobstwiesen bietet sich die Sorte geradezu an, da sie robust ist, stark und gesund wächst und ein überdurchschnittliches Lebensalter erreichen kann, sofern man ihre speziellen Standortansprüche berücksichtigt.

Die ersten von mir im Januar 2015 veredelten Bäume haben sich prächtig entwickelt. Junges und gesundes Reisermaterial steht ausreichend zur Verfügung. Interessenten können sich noch bis Ende Januar (2016) in der Gärtnerei Rintisch melden und einen Baum reservieren lassen.

Tel.: 036041/56356 oder Email: info@gaertnerei-rintisch.de

Das umfangreiche Literaturverzeichnis liegt beim Verfasser aus.

Schauen Sie auch auf die Internet-Seite des Pomologen-Vereins, der 2016 sein 25jähriges Bestehen feiert: www.pomologen-verein.de