
Der Autor und Pfarrer zu Kleinfahner, Johann Volkmar Sickler (1741-1820). Porträt aus den Pomologischen Monatsheften.
Wir geben hier einen Text wieder, der Nachricht über die militärischen Ereignisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Fahnerdörfern gibt und somit ein lokalhistorisch bedeutendes Dokument seiner Zeit darstellt. Er erschien in Teilen in den „Heimatglocken – Evangelisches Gemeindeblatt für die Kirchgemeinden Großfahner und Kleinfahner mit Witterda“ im Dezember 1936 (Ausgabe Jahrgang 4. / Nr. 6), im Januar / März 1937 (Ausgabe Jahrgang 5. / Nr.1), April / Mai (Ausgabe Nr. 5./2), Juni / Juli (Ausgabe Nr. 5/3) und August / September 1937 (Ausgabe Nr. 5/4).
Vorwort von Pfarrer Artur Meng, Großfahner, 1936.
Im „Schwarzen Buch“ von Kleinfahner gibt Pfarrer Johann Volkmar Sickler (* 17. Januar 1741 in Günthersleben – † 31. März 1820 in Kleinfahner) einen anschaulichen Bericht über die Erlebnisse in jenen Jahren. Vieles davon ist schon bekannt. Doch bin ich (Pfarrer Artur Meng) schon öfters gebeten worden, diesen Bericht im Zusammenhang abzudrucken. Unter geringen Fortlassungen soll dies im Folgenden geschehen, in unsere heutige Schreibweise übertragen.
Die sogenannte französische Revolution, die so traurig seit ihrem Anfang in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts für viele Länder und Völker gewesen ist, hatte sie doch unseren sächsischen thüringischen Ländern noch wenig geschadet; allein das Unglück rückte uns in dem Jahr 1805 näher und 1806 traf es uns und die benachbarten Örter ziemlich hart.
Der damals noch vorhandene römische Kaiser aus dem Hause Österreich (Franz II.) hatte seinen großen Länderverlust an Frankreich noch nicht verschmerzen können, er fing daher mit Frankreich einen neuen Krieg an, das damals unter der Herrschaft Napoleon Bonaparte, der sich zum französischen Kaiser erhoben hatte, und groß und mächtig war. Er machte den Anfang damit, dass er den damaligen noch seienden Kurfürsten von Bayern, einen Verbündeten Frankreichs, mit Truppen überzog und damit das Land besetzte und bis in Schwaben vordrang. Auf einmal war der französische Kaiser, der sich damals mit einem Einfall in England in Bordeaux zu beschäftigen schien, mit einer sehr großen Armee in Schwaben und fing seine Feldschlacht mit Österreich bei Ulm an, erfocht einen Sieg nach dem anderen bis zum letzten bei Austerlitz, ob sich auch schon ein Teil Russen mit den Österreichern vereinigt hatten, die ihn aber nicht aufhalten konnten.
Schon vorher, man weiß nicht warum, hatte Preußen ein großes Heer versammelt und sich mit demselben unter dem Fürsten Hohenlohe und dem General Ruchel in unsere Gegend gezogen, in der alle Dörfer dichtvoll mit Soldaten belegt waren. Erster hatte sein Hauptquartier in Erfurt, der zweite in Gotha. Schon 14 Tage nach Michaelis 1805 waren Teile der Dörfer um Gotha mit preußischen Truppen besetzt, wir aber erhielten erst hier die ersten am 1. Advent, und zwar Reiterei von dem Kürassierregiment von Henkel, das in Breslau in Schlesien gestanden hatte. In der Pfarrwohnung zog ein Leutnant mit zwei Pferden und einem Bedienten ein, sein Name hieß Herr von Lüttwitz. Diese aber blieben 14 Tage hier liegen und wechselten dann mit Infanterie des Regiments Renard ab, von welcher ein Hauptmann von Diskau und Leutnant von Delitsch in die Pfarre ins Quartier gelegt wurde nebst 5 Bedienten und 4 Pferden. Ein Glück war es, dass sie nur 3 Tage hier blieben, denn sie ließen es sich ziemlich wohl bei mir sein. Nachdem sie abgegangen, so zogen wieder andere ein und von diesen erhielt ich einen Fähnrich, der ganze 6 Wochen mit einem Bedienten und einem Pferde bei mir lag. Hierauf zogen sie, nachdem wir hier die Herren Preußen 9 Wochen in den Winterquartieren gehabt hatten, wieder ab und in ihr Land zurück; denn nach der Schlacht bei Austerlitz, die indessen erfolgt war, wurde Frieden, und niemand wusste, was die Preußen gewollt hatten. Man sagte sich einander nur ins Ohr: Wenn der Kaiser Napoleon bei Austerlitz die Schlacht würde verloren gehabt haben, so würde Preußen ihm in den Rücken gefallen sein und ihn zu unterdrücken geholfen haben.
Nun blieb es ruhig bis 1806 im September, wo Preußen Frankreich einen Krieg, wie es hieß, deswegen angekündigt hatte, weil es seine Truppen nicht von deutschem Grund und Boden wegziehen wollte, und erschien mit vielen Truppen auch wieder in unserer Gegend, die immer hin und her zogen und oft schnell und kurz einquartiert wurden. Am 10. Oktober erhielten wir hier deren gleichfalls eine große Menge ganz unvermutet. Ich bekam 2 Leutnants, einen Herren von Blumenthal und von Eckardsheim, mit 5 Personen und 14 Pferden, die alle zur Equipage der beiden Leutnants und ihrer sie bedienenden Leute und Dragoner gehörten. Wie die Preußen überhaupt gewohnt waren, viel von ihren Taten, die sie getan hatten und noch tun wollten, zu sprechen, so redeten auch die beiden Herren Leutnants, bis sie im Bette waren, wie sie in wenigen Tagen die Franzosen würden geklopft haben, und eben an diesem Freitag waren die Preußen schon bei Saalfeld von den Franzosen geklopft, wo der Prinz Louis von Preußen geblieben war.
Sie marschierten Sonnabend nach Erfurt über Bienstädt ab, und nun hörte man weiter nichts mehr von Soldaten bis den 14. dieses Monats. Man war nun in der bängsten Erwartung bis zu eben diesem Tage, an welchem wir unsre Kirmse feierten. Kaum war die Kirche aus, als viele Menschen zum Tor hinaus und zum Kirchberg liefen, auf welchem man nach Jena zu sie sehr stark schießen hörte. Ich ging gleichfalls auf denselben, um mich zu überzeugen, und hörte noch außer den Kanonen das Feuer aus den kleinen Gewehren. Indem ich mit vielen Gemeindegliedern so dastand und nach jener Gegend traurig hinsah, wurde ich auf der Straße nach Erfurt, die durch unsere Flur geht, eine Kutsche mit 6 Pferden bespannt, gewahr. Um ihr und auf beiden Seiten, hinten und vorn, sah ich Reiter, deren gezogene Schwerter ihren Glanz bis zu uns her warfen. Ich vermutete, dass dies die fliehende Königin von Preußen sein möchte, von der ich wusste, dass sie sich bei ihrem Gemahl in Erfurt und zuletzt in Weimar aufgehalten hatte; und wirklich war sie es gewesen, wie ich nachmittags von Großfahner aus erfuhr, wo sie, ihr Schnupftuch vor die Augen haltend, nur so lange hatte anhalten lassen, bis ihr ein Glas frischer Brunnen zum Trinken hatte gereicht werden können, und hatte dann schnell ihren Weg über Langensalza fortgesetzt.
Ich konnte meinen um mich stehenden Beichtkindern keinen anderen Trost geben als den sehr traurigen, dass sie dort die Königin von Preußen, so jung und schön, fliehen sähen und die Schlacht für die Preußen verloren sein müsste.
Der Nachmittag ging traurig vorüber, und es wurde an keine Kirmselustbarkeit gedacht, und der Abend kam unter eben diesen Umständen an, ohne dass man weiter etwas sah oder hörte. Meine Frau und Kinder gingen zur Veränderung ein wenig auf den adl. Hof zum Pächter Zangemeister, und ich blieb auf meiner Studierstube.
Gegen 9 Uhr kam meine Magd Sophie Carl aus der unteren Stube herauf und meldete mir, dass sie am Fenster ein großes Lärmen im Felde höre, auch mitunter Licht wahrnehme. Ich ging an das Saalfenster und sah und hörte es gleichfalls. Im Orte hatten sich vermutlich die meisten Einwohner aus Kummer und Angst ins Bette gelegt, denn ich sah kein Licht in der ganzen Gasse. Ich ließ also wecken und erinnern, man möchte auf seiner Hut sein, die Uhr stille stehen, damit es nicht schlüge, und die Hunde einsperren, damit sie nicht belleten und man höre, dass in der Nähe ein Dorf sei. Als die Meinigen auch nach Hause kamen, so ging mein Sohn, der Arzt, der eben von Gotha her mich zu besuchen gekommen war, mit einigen Personen nach der Erfurtischen Straße hin, wo der Lärm am größten war, und indem er sich so nahe geschlichen, als er in der Dunkelheit konnte, so hatte er bemerkt, dass es nur Fuhrwerk war, da von der Armee der Preußen zu retirieren angefangen hatte, und bestimmt erfahren, dass sie bei Jena geschlagen worden waren. Wie es endlich Tag geworden war, so hatte sich alles verstärkt; es kamen nun auch Soldaten zu Fuß und zu Pferde, verwundete und gesunde, und alles ging in schnellster Eile in zwei, drei Zügen nebeneinander in der Straße fort. Es war erbärmlich anzusehen, denn ich hatte mich gegen 8 Uhr hinausgewagt und Erkundigung von ihnen einziehen wollen, aber man antwortete mir kaum.
Als ich wieder 10 Uhr nach Hause kam, fand ich einen anderen Zug, aber nur von Soldaten zu Fuß und zu Pferde und Packpferden, von Erfurt über Töttelstädt herab durch den hiesigen Ort ziehen und zum Teil sich einquartieren in die Häuser, wo und wieviel sie konnten, manche mit Vorsatz zu plündern, was ihnen wohl der nachsetzende Feind nicht zuließ. Essen und Trinken musste ihnen aber gegeben werden, und das gab man auch gerne.
Ich fand mein Haus voll und meistenteils von den Bedienten mit einigen Packpferden der Offiziere, die ich im Quartier gehabt hatte. Dieser Zug machte auch Anstalt, durch den Garten und das Haus einzubrechen und hatte zu dem Ende die Staketen niedergelegt, das ich aber durch meine Erscheinung im Garten verhinderte.
Nach 1 Uhr hörten die Durchzüge der Flüchtigen auf, es waren aber noch viele zurückgeblieben und hatten sich in den Häusern, Scheunen und Ställen versteckt, und nun aßen wir etwas in voller Angst und verschlossen unsere Türe am Hause und im Hofe. Auf einmal hörten wir das Geschrei von laufenden Einwohnern: Jetzt kommen sie! Jetzt kommen die Franzosen von der Windmühle her! Ich sah zum Saalfenster hinaus und wurde 10-20 Chasseurs gewahr, die angesprengt kamen, ihre Augen von Ferne schon auf die Pfarrwohnung richtend und, nachdem sie näher kamen, rufend: Geld! Geld! – das einzige Wort so sie deutsch deutlich auszusprechen wussten.
Da sie sich alle unter dem Fenster versammelten und mit großem Lärmen jene Worte wiederholten, so wagte ich es endlich und ging hinunter in die große Stube und sagte ihnen zum Fenster hinaus, dass ich kein Geld hätte. Sie schlugen also ihre Gewehre auf mich an und einer hieb das Fenster ein. Hierauf hieß ich sie ruhig sein und versprach, ihnen welches zu suchen, holte, was ich hatte, und fing an auszuteilen. Nachdem ich ihnen ungefähr 40 Thaler in kl. Stücken ausgeteilt hatte, so sagte ich ihnen abermals, dass ich nun keins mehr hätte. Da ging der Lärm aufs neue an. Ich gab ihnen also, was ich noch in einem seidenen Beutel hatte, zusammen über 80 Thlr. Sie kamen einer nach dem anderen unter das Fenster geritten und empfingen es wie die Jungen, die das Neujahr singen. Als ich ihnen nun keins mehr geben konnte, sprangen 5-6 von ihren Pferden und stießen mit ihren Karabinern in die Haustür, um sie aufzusprengen. Ich rief ihnen zu, sie sollten es sein lassen, ich wollte ihnen aufmachen, ich tat es, gleich fielen 4-5 mit aufgehobenen Säbeln über mich her und wollten mich niederhauen, wenn ich ihnen nicht noch 30 Louis d’or gäbe. Diese Wut brachte mich auch beinah zur Verzweiflung, dass ich ihnen in einem stärkeren Ton antwortete, dass ich ihnen gegeben, was ich gehabt hätte, ich hätte weiter nichts als mein Leben; wollten sie das, so sollten sie zuhauen. Bisher hätte ich geglaubt, die Franzosen wären brave Krieger; sollte ich dieses fortglauben, so möchten sie mich nicht misshandeln. Unter diesen Reden hatte ich bemerkt, dass einer von ihnen beiseite stand und sich so ganz still betrug, vielleicht ein Unteroffizier sei. Ich wendete mich also an diesen und sagte, ich hielte ihn für einen raisonablen Mann, er möchte mich gegen seine Kameraden in Schutz nehmen. Er antwortete mir zwar nichts darauf, aber ein Wink machte seine Kameraden mäßiger in ihren Forderungen. So stimmten sie auf 10 herab, dann auf einen und endlich auf Wein. Da ich ihnen sagte, dass ich keinen habe, so forderten sie Branntwein. Ich gab ihnen daher eine Bouteille in Vorrat habenden Kirmsebranntwein zum Besten. Unterdessen er im Keller geholt wurde, wurde friedlicher gesprochen, und ich demonstrierte ihnen, dass wir keine Kursachsen wären, die Truppen bei der preußischen Armee hatten, und also nichts feindliches gegen sie unternommen hätten, folglich noch ihre Freunde wären. Nun fingen sie an, vertraulicher zu werden, tranken ihren Branntwein, schwangen sich aufs Pferd und ritten weiter ins Dorf. Der Gute tummelte noch sein Pferd ein paar Mal vor der Pfarre herum, kam an die Treppe zurückgeritten, reichte mir die Hand und nahm freundlichen Abschied.
1. Fortsetzung
Eben da dieser fort war, sprengte ein Trupp andere mit Geschrei und vorgehaltenem Säbel heran. Ich ließ geschwind meine Haustüre zumachen und blieb in der Gasse, wo ich Abschied von ihnen genommen hatte, stehen. Der erste sprang heran, als wolle er mich über den Haufen reiten und konnte kaum sein Pferd, als es vor mir stand, zurückhalten. Als er seine Forderung nach Geld wiederholte, sagte ich ihm: Das Geld hätten mir jene abgenommen, wie er noch würde gesehen haben. Nachdem der ganze Trupp mit gezogenen Schwertern sich um mich versammelt hatte, so wurde ich gefragt, wer ich wäre. Ich sagte ihnen solches, und da ich mich in ihrer Sprache mit ihnen auch verständigen konnte, so waren sie sehr zufrieden.
Weil mich mein Nachbar gegenüber, der Gerichtsschöppe Kolbe, so friedlich mit ihnen unterhalten sah, so kam er herzu, aber gleich forderten sie von ihm Geld und Branntwein. Er lief an des Herrn Schullehrers Fenster, der sich hinter den Vorhängen zurückhielt, und forderte Branntwein von ihm für die Chausseurs. Darüber erhielt er mit der flachen Säbelklinge einige Hiebe auf den Rücken, nach welchen er auf einmal verschwand, und nun ging alles über den Schulmeister her, der die Haustür öffnete und vermutlich zu mir treten wollte. Es hieb aber einer nach ihm, dass er zurücksprang und die Tür wieder zuschlug. Seine Mutter aber kam zur Hoftür heraus und holte eine Bouteille Branntwein auf dem adl. Hofe. Während dieser Zeit hatten mich die Chausseurs in der Mitte und sprachen mit mir über allerhand. Einer von ihnen, dessen Pferd sehr unruhig war, ließ aus seinem Mantel, den er in der Mitte des Leibes umgürtet hatte, einen schweren großen silbernen Esslöffel fallen, den ich ihm wieder aufheben musste und er wieder an den vorigen Ort steckte, wo ich aus dem Gerassel hören konnte, wenn das Pferd sprang, dass noch viel dergleichen Ware daselbst vorhanden war. (Nachdem sie sich noch mehrmals mit Branntwein hatten versorgen lassen, ritten sie fort.)
Die Einwohner waren fast alle ins Holz geflüchtet, und kein Mensch mehr im Orte als ich, der Pächter und der Schulmeister. Über alle diese Begebenheiten war es Nacht geworden. Ich setzte mich mit meinem Freund Bertuch, der sich beständig innen gehalten hatte, bekümmert nieder, um ein wenig Nachtbrot zu essen, was ohngefähr gegen 8 Uhr geschah. Auf einmal hörten wir ein großes Pferdegetrappel. Ich lief ans Saalfenster, konnte aber wegen der Dunkelheit des Nachts nichts erkennen, und ich erfuhr einen Augenblick nachher, dass es zwei Eskadrons preuß. Reiter waren, von welchen ich 2 Leutnants und 8 Reiter ins Quartier bekam. Mein Freund meinte, dieses wäre ein sehr gutes Ereignis; ich hielt es aber für ein sehr böses. Denn es waren die heutigen Chasseurs vor ihnen, und in Witterda waren, wie ich wusste, auch Franzosen. Sie konnten Nachricht davon erhalten und in der Nacht sie hier angreifen. Die Preußen hatten sich von Erfurt aus hierher verirrt und waren über Töttelstädt zu uns herabgekommen. Sie waren erstaunt furchtsam, so dass auch die Offiziere durch den Wachtmeister keinen Reiter bewegen konnten, vor dem Tore wache zu halten. Die Offiziere nahmen kein Bett, sondern legten sich mit den Reitern auf die Streu, die ich für alle in der kleinen Stube musste machen lassen, und befahlen, den anderen Morgen punkt 2 Uhr geweckt zu sein. Da ich dieses keinem von meinem Gesinde überlassen konnte, so blieb ich selbst auf und ging mit dem Glockenschlag 2 hinab. Als ich sie fest schlafend und schnarchend antraf und daher mit einer etwas starken Stimme rufen musste: Meine Herren, es hat 2 geschlagen!, so standen gleich die Reiter, große lange Männer, wie von einer Stahlfeder in die Höhe geschnellt, vor mir auf den Beinen. Sie fütterten, aßen das Morgenbrot und ritten 5 Uhr, da es kaum Morgen wollte, nach Fahnern zu fort. In Fahnern hatten sie nur unsere Chasseurs des vorigen Tages angetroffen und einige erschossen und die anderen zersprengt, sich aber nicht lange damit aufgehalten.
Einige preußische Infanteristen, die bei dem gestrigen Rückzug in die Häuser gedrungen und sich zu essen und zu trinken hatten geben lassen, waren in dieser Nacht selbst ihren einquartierten Kameraden, den Reitern, unbemerkt geblieben, und waren erst diesen folgenden Tag durch das Holz entwichen. Sechs bis acht, die sich gestern noch bei Andreas Schierschmidt befunden hatten, als die Chasseurs angesprengt kamen und einer von ihnen vor diesem Hause erscheint, waren herausgetreten, ihre Gewehre nach Soldatenbrauch niedergelegt und hatten sich zu Gefangenen ergeben wollen. Allein der Franzos, der sie einst hatte haben wollen, war fortgeritten, und sie waren sachte durchs Holz entwichen.
2. Fortsetzung
Dieses war jedoch noch nicht alles, was wir bei der preußischen Retirade erfahren sollten; das Schlimmste stand uns noch bevor. Den dritten Kirmsetag oder den Donnerstag war es ganz ruhig bis nach 3 Uhr und man vermutete, dass alles vorüber sei; nur war es aber nicht so. Ich hatte daher gleich früh einen Boten mit einem Brief nach Gotha an den damaligen Herrn Regierungsrat von Seebach, ältesten Sohn des Herrn Domprobstes v. S., gesandt, ihm gemeldet, wie es hier zugegangen wäre und um Schutz gebeten. Der Bote war kaum zurück, als die Leute abermals von der Windmühle gelaufen kamen und neue Züge von Franzosen zu Fuß von Witterda her ankündigten. Alles floh wieder ins Holz. Ich verriegelte meine Tür und erwartete sie am Fenster. Es waren leichte Truppen, die man damals Voltigeurs nannte; wirklich kamen sie auch unordentlich durcheinander ins Dorf gesprungen, Menschen in Röcken von allen Farbenmustern, ordentlich und zerlumpt gekleidet. Die ersten, die immer auch die ersten vor der Pfarrwohnung waren, forderten aufzutun, und, da ich es verweigerte, schlugen sie ihre Flinten gegen das Fenster, da ich stand, an. Ich machte also, nachdem meine Leute geflohen waren, die Tür auf; ich wollte mit ihnen reden, allein sie hielten nicht stand, gingen ohne mich anzusehen auf die im Hauserden stehenden Schränke los, öffneten sie, da eben die Schlüssel ansteckten, drangen in Stuben und Kammern und wollten Kommoden und Koffer zerschlagen; um dies zu verhindern, öffnete ich und meine Frau alles und ließ nehmen, was sie wollten. Es ging alles fleißig über Wäsche, Kleider usw. her. Die ersten nahmen das beste. Stets waren dieser Menschen 20 bis 30 in allen Stuben, Kammern und Kellern, und was sie in diesen fanden, war ihnen das liebste, weil sie es genießen konnten. Wenn ein Transport fort war, so kam wieder ein anderer, und so ging es bis auf den Abend. Da erschien ein Trupp Reiter von 15 bis 16 Mann mit einem Offizier vor dem Hoftor, sprangen ab und führten ihre Pferde ein und brachten sie unter, wo sie solche unterbringen konnten, kamen hierauf herein und forderten Essen, jagten aber die Voltigeurs fort, riegelten die Tür zu und ließen keinen mehr herein.
Da die vorigen alles, was zu genießen war, bereits genommen hatten, so konnte ihnen nichts als Kartoffeln angeboten werden. Diese wurden daher gekocht und zum Teil so gegessen, zum Teil auch Suppen mit Zwiebeln gemacht. Sie selbst hatten 13 Hühner mitgebracht, vermutlich hatten sie diese irgend in einem Hühnerhause geplündert; davon mussten gleich fünf gekocht werden und daraus vorzüglich bestand ihre Mahlzeit. Kaum hatten sich diese nach 9 Uhr niedergelegt, als endlich an die Tür geklopft ward. Wie ich aufmachte, stand ein Soldat von einem regulären Regiment als Schildwache vor mir und sagte mir, dass drei Offiziere von dem Regimente, so eben eingerückt wäre, bei mir Quartier nehmen würden. Sogleich erschien der Vornehmste von ihnen, der ungefähr ein Kapitän war, besah die untersten Stuben, wie sie alle voll waren und schliefen. Er fragte, ob ich mit diesen Leuten zufrieden wäre, ohne Zweifel, dass, wenn ich gesagt haben würde Nein!, sie hätten weichen müssen. Ich sagte aber Ja und bot ihm, wenn die Offizere nicht mehr als drei wären, eine Stube im obersten Stock an. Nachdem er diese angesehen, so blieb er und die anderen beiden kamen auch, und nun forderten sie Essen. Da ich ihnen aber sagte, dass alles aufgezehrt sei, wie er wohl vermuten konnte, und nur noch einige bereits gesottene Kartoffeln da wären, so mussten diese gebracht werden. Während sie diese aßen, fragten sie nach Mehl. Da dieses vorhanden, so mussten ihnen Pfannkuchen in dickem Rahm gebacken werden und Kartoffelsalat dazu und hinterdrein noch Kaffee. Damit brachten sie zu bis gegen 1 Uhr in der Nacht.
Währenddessen hatte ihr Bedienter die übrigen Hühner der Reiter in der Küche zurechtmachen sehen und gefragt ob diese für seine Herren sein sollten. Da ihm geantwortet, sie gehörten den Reitern, hatte er gedroht, wenn seine Herren nicht auch dergleichen bekämen, so würde ein großes Unglück geschehen. Ich ließ daher zwei Puthühner aus dem Hühnerhause nehmen, abschlachten und sie mit jenen Hühnern braten. Mit diesem allen hatten sich die Meinigen die ganze Nacht beschäftigt. Früh gegen 6 Uhr brach alles auf, aß Suppen, trank Kaffee, die Reiter setzten sich zu Pferde und hatten eine von den Puthühnern der Offiziere mitgenommen und ein miserables Huhn liegen gelassen.
Ich hatte bei meinem eigenen Geschäfte und Sorgen im Hause nicht viel mich um andere kümmern können, aber, mein Gott, welche Verwüstung im Orte und in Gierstädt. Ein einziges Mal trat ich an das Saalfenster und erblickte in der Ferne ein Feuer, dessen Flamme bis an die Wolken zu schlagen schien. Ich hielt es für einen Brand in Tonna, allein es war, wie ich den andern Morgen vernahm, zwischen hier und Gierstädt gewesen, wo die übrigen von den 20 000 Mann, die der Marschall Ney kommandierte und nicht in den Dörfern hatten unterkommen können, ein Biwak gehalten hatten. Solch ein Zustand hatte ich in meinem ganzen Leben und auch nicht in dem sogen. Siebenjährigen preußischen Krieg mit Österreich von 1756 an, den ich ganz erlebt hatte, gesehen. Man sah ein Lager unter freiem Himmel. Dazu waren keine Zelte gebraucht worden. Man hatte die Inwohner von hier und in Gierstädt gezwungen, ihr Geschirr anzuspannen und ihre Erntefrüchte in ihren Scheuern aufzuladen, Korn, Weizen, Gerste, Hafer usw., und dahin zu fahren. Von diesen Garben hatte man Schutz gegen den Wind gemacht, indem man Garben in doppelten Reihen rund herum in die Höhe gestellt hatte. Von den übrigen hatte man teils ein Lager gemacht, auf welchem man sehr weich ruhte, teils Feuer, teils den Pferden zum Fressen vorgeworfen, die es zerstampft und zertreten hatten. Wo man Hafer, Korn usw. auf den Böden gefunden, hatte man eingesteckt, mit fortgenommen und den Pferden vorgeschüttet auf die bloße Erde. Hierher war alles gebracht worden, was man aus Küchen, Kellern, Vorratskammern, Kuh-, Schaf-, Schwein und Hühnerställen hatte finden und fortbringen können. Dieses alles war in diesem Lager geschlachtet worden, und zwar auf die Art, dass man den Tieren bloß den Kopf abgehauen, das Fell herabgerissen, Keulen und Stücke Fleisch abgetrennt, an Degen gesteckt und so gebraten. Man fand dergleichen noch ungar gebraten umherliegen, was man nicht hatte genießen können und wieder weggeschmissen hatte; man fand die abgezogenen Schaffelle in ganzen Haufen aufeinanderliegen. Bei einem Einwohner in Gierstädt, Gewalt genannt, hatte man allein etliche 30 Schafe genommen; ihre Köpfe, Gedärme, Schweins-, Hühner-, Gänse-, Entenköpfe lagen umher. Butter-, Mus-, Fett-, Käsetöpfe lagen umher. Um das Feuer zu unterhalten, hatte man aus den Häusern Tische, Schränke, Stühle, Bänke geholt; ich sah auch noch die Ueberbleibsel von einem Leineweberstuhl. Bohlen und Bretter hatte man ins Feuer geworfen und verbrannt. Karren und Wagen, auf welchen man das alles nebst den Hoftoren und Haustüren, die man ausgehoben hatte, hatte man zuletzt ins Feuer geschoben und zum Teil ganz, zum Teil halb verbrannt. Mein Gartenhäuschen unterm Gierstädter Kirchenholz nebst der großen Baumschule hatte man verwüstet und die jungen Bäumchen mit ihren Pfählen in das Feuer geworfen und zusammen verbrannt. Der Ort, wo dieses Biwak gehalten worden war, war am Fahnerweg nach dem Holze zu zwischen dem Schleifwege aus Gierstädt nach dem Holzberge zu und der Gierstädter Mark, nicht weit von meiner Baumschule. Es war schrecklich anzusehen, und gewiß kann ein Lager wilder Kannibalen auf feindlichem Grund und Boden nicht ärger und verwüstender aussehen.
Nachdem die letzten Voltigeurs nichts mehr in der Pfarre gefunden, so ihnen anständig war, so zogen sie mir noch einen neuen Oberrock aus Tuch aus, und ich musste nun in der bloßen Jacke gehen. Sie hatten gewartet, bis ich die Treppe herunterging; zwei gingen hinter mir drein, zwei standen unten vor der Treppe und zwei in der Mitte, alle mit Gewehr und aufgepflanzten Bajonetten. Die letzten griffen mich an. Wie ich sah, dass ich so eingeschlossen war, zog ich den Oberrock selbst aus und gab ihnen denselben mit den Worten: Da mir alles genommen wäre, so möchten sie diesen auch hinnehmen. Meiner Frau, die stets an meiner Seite war, kehrten sie noch die Taschen um und nahmen ihr die paar Pfennige, die sie drinnen hatte. Diese Plünderung und den Schaden, den ich dabei hatte, kam über 500 Rthl., wie ich hernach auf Befehl der Obrigkeiten berechnen und einsenden musste, wie auch alle tun mussten, die der Plünderei in hiesiger Gegend unterworfen worden waren.
Man hatte von Jena aus über Erfurt bis in unsere Gegend scharmütziert, und selbst in unserer Flur geschah es noch. Ich sah von meinem Saalfenster aus, wie unten an der Straßen ein Trupp preußischer Reiter und Chasseurs, auch die Bedeckung von einer Kanone und Pulverwagen, aufeinander schossen und einige von den Preußen und auch ein französischer Husar geblieben sind und in unserer Flur begraben liegen. Obige Kanone und Pulverwagen hatten die Preußen an der Straße nicht weit von meinen zwei Pfarräckern stehen lassen, welche hernach die Franzosen holten, nachdem die hiesigen Einwohner viel Pulver vorher herausgeholt hatten. Die fliehenden Preußen hatten viele Mantelsäcke, Betten, Pakete, Kleider und Gewehre weggeworfen, wovon viele, die es wagten, hinunter an die Straße zu gehen, sich etwas zueigneten; das meiste aber hatten sich die Witterdaischen und Dachwiger geholt.
Am Tage nach der Kirmse, den Freitag, kam ein Schreiben hier an, das ich von dem damaligen Prinz Murat in Erfurt ausgewirkt hatte, der den französischen Truppen alles Plündern in gothaischen Landen untersagte. Aber immer kamen noch Nachzügler von ihnen, die Miene zum Plündern machten. Ich selbst hatte noch mit zwei Reitern einen Streit darüber, denen ich erst die gedruckte Ordre von Prinz Murat vorlesen musste, deren auch mir ein Exemplar zugesendet worden war, worauf sie mit Unwillen fortritten. Im Ort war kein Bissen Brot mehr. Es musste daher den ganzen Tag gebacken werden.
Der Zug dieses 8. Armeekorps des General Ney ging über Gräfentonna, Tennstedt, Greußen und Sondershausen, wohin sich die Preußen ferner zurückzogen, und bald war der Kriegsschauplatz aus unserer Gegend weg. Wo sie hingekommen und was sie anderwärts angerichtet haben, muss in der allgemeinen Geschichte dieses Krieges gesucht werden.
3. Fortsetzung
Nachdem endlich der Tilsiter Friede geschlossen worden war, so blieben nichtsdestoweniger die Franzosen in Deutschland, und in Preußen blieben sogar einige Festungen besetzt, und wir hatten durch das stete Hin- und Herziehen der Franzosen stets Einquartierungen und mussten sie umsonst quartieren und ernähren. Da Napoleon zuletzt sich auch nicht mehr scheute, Russland Vorschriften zu machen, so brach endlich ein neuer Krieg mit Russland los, zu welchem auch Deutschland seine Contribution geben musste, und auch aus hiesigem Dorfe wieder mehrere ausgehoben und mit dorthin marschiert und nicht wiedergekommen sind. Napoleons gänzliche Niederlage in Russland 1812 erweckte Preußens und aller Deutschen Mut, ihn auch aus unserem Vaterlande zu vertreiben.
Nachdem Preußen und Russen 1813 erst allein gegen ihn gekämpft hatten, so trat endlich auch Österreich zu ihnen, und schlugen den 16., 17. und 18. Oktober dieses 1813. Jahres die große Schlacht bei Leipzig, woran er in einem Zuge bis nach Frankreich über Weißenfels, Naumburg, Erfurt, Gotha pp. und also auch über hier mitmachen musste und die ihn verfolgenden drei Kriegsheere in der Breite das ganze gothaische Land durchzogen. So traf uns von diesen drei Heeren besonders das russische, welches in dieser Verfolgung den rechten Flügel bildete, deren Hauptstrecke hier durch Kleinfahnern ging und diesem Orte und mir insbesondere viele Leiden verursachte, die ich hier erzählen will.
Schon vor der Leipziger Schlacht hatten wir hier polnische Lanciers von der französischen Partei, die Napoleon zur Reserve hatte nachrücken lassen, und ich einen Obristleutnant im Quartier, 14 Tage lang, dessen Tafel ich mit Wein und Braten und, was so ein Mann forderte, besorgen lassen musste. Das war schon im September. Sie waren aber in großer Furcht, da wir einige Tage auch Einquartierung von Flüchtlingen von Jüterbog hatten, wo die Franzosen schon sehr gelitten hatten; es durfte aber nicht so heißen. Aus der Furcht aber der französischen Lanciers vor den Russen konnte man schließen, dass sie keine guten Briefe hatten. Nachdem beide, diese vorwärts und jene rückwärts, weggegangen waren, so erschien am 22. Oktober, am Tage nach unserer Kirmse, ein Trupp Kosaken unter einem Obersten, der bei mir abtrat und nebst seinem Adjutanten einige Erfrischung zu sich nahm und seine Kosaken alle in der Gasse halten ließ, übrigens ein sehr artiger, guter Mann. Er zog seine Landkarte vom Gothaischen Lande heraus, und ich musste ihm die Dörfer Pferdingsleben, Nottleben und Gamstedt zeigen, auf welche er mit seinen Kosaken zuritt. Dies geschah ohne Zweifel, um den aus Erfurt sich retirierenden Franzosen zuvorzukommen, und schon den andern Morgen, den Sonnabend Vormittag, brachten die Kosaken 600 gefangene Franzosen hier vorbei, und die Gemeinde musste Brot, Würste, Speck, Branntwein vor das Tor schaffen, um zu frühstücken, die gefangenen Franzosen aber erhielten wenig davon. Im Übrigen war es den Tag über still. Indessen als es schon Nacht worden, sehr finster und regnerisch war, ungefähr gegen 8 Uhr, hörte ich von meiner Stubentür aus auf dem Weg hinter meinem Pfarrgarten vorbei ein großes Trappeln von Menschen und Tieren, ich schlich mich an das Saalfenster, um zu bemerken was zum Dorfe hereinkommen würde. Bald kam ein Reiter angesprengt, der vor den Fenstern des Herrn Schulmeisters, der hell Licht hatte, stille hielt und Licht verlangte und die Oeffnung seines Hoftores. Wie er aber hineinsah und den engen Bezirk seines Hofes gewahr wurde, blickte er um sich und sah das Pfarrtor. Er sprengte also herüber und leuchtete über das selbe hin und wurde nach seiner Meinung einen großen Platz gewahr. Er sprengte also wieder zum Dorfe hinaus und wieder zurück und mit ihm eine große Menge Menschen, die alle in den Pfarrhof hereindrangen und bald auch zur hinteren Haustür ins Haus. Bald hörte ich Deutsch, bald Französisch, bald eine andere Sprache, die ich nicht verstehen konnte. Wie ich hinunter ins Haus kam, da tönten hundert Stimmen in allen Sprachen mir entgegen: Wasser, Brot, Schnaps, Bier, Fleisch! Noch wusste ich nicht, ob es Freunde oder Feinde waren, endlich erfuhr ich, dass es 400 gefangene Franzosen, unter welchen 20 Offiziere, waren, die sich der großen Stube rechter Hand vom Eintritt her bemächtigten. Gegenüber in die kleine Stube traten andere bewaffnete Offiziere, welches Russen waren, und gerade in die Stube, wo meine arme Frau an einem Nervenfieber gefährlich krank lag und nur ihrer Schwester Tochter und eine Jungfer von Gotha zur Wartung hatte. Vor der Pfarre und die Gasse abwärts hin waren 30-40 Kosaken zur Bewachung, die auch alle Ausgänge des Hofes und Hauses besetzt hatten. Magd und Knecht sah ich nicht und kamen nur nach einer Weile zum Vorschein. Man kann glauben wie bedrängt ich war, allen diesen Menschen zu geben! Im Kurzen war alles, was ich in Leib und Leben hatte und genießbar war, aufgezehrt. Der Brunnen im Hofe musste beständig gezogen werden, um nur den Durst der Menschen zu stillen, allerlei Gefäße, auch die Nachttöpfe, die zum Auslüften dastanden wurden zum Schöpfen und zum Trinken gebraucht. Am Tage hatte ich 2 Wagen weiße Rüben einfahren lassen, die noch im Hofe vor dem sogenannten Halbkeller lagen, die wurden beinahe ganz verzehrt. Alle Inwohner waren ins Holz geflüchtet, und kaum ließ sich ein oder der andere nach dem ersten Schrecken in der Pfarre sehen. Aber nun ging eine neue Angst um. Die russischen Offiziere, ein General, ein Obristleutnant, ein Kapitän, wollten durch einen ihrer Dolmetscher eine ordentliche Mahlzeit haben, Braten, Fische, Wein pp. Ich gab ihnen, was ich noch für uns versteckt hatte, Schinken, Servelatwurst, Kartoffelsalat und Wein, soviel ich nur hatte, aber sie wollten immer mehr. Endlich mussten sie sich begnügen lassen und schliefen eben in der Stube neben meiner Studierstube. Aber welch ein Greuel wurde ich gewahr, als ich ein wenig zur Ruhe gekommen war und zu meinem Kammerfenster hinaussah. Da hatten sie mir meine Getreidegarben aus der Scheune hinausgetan und auf dem Hofe sich Lagerstätten davon gemacht. Erst hatten sie viele derselben in die Pfützen, die da standen, gelegt und den Hof trocken gemacht, dann nun andere Garben oben darauf ausgebreitet und sich gelagert. Was nicht da Platz hatte, war in der Scheune so tief in die Früchte hinunter, als sie hatten können, gekrochen. Viele hatten sich auf diese Weise versteckt und waren den anderen Morgen zurückgeblieben. Andere hatten sich auf dem Futterboden, in die Ställe oder sogar in das Hühnerhaus gelagert. Ihr Erwachen frühmorgens in der Dämmerung auf dem Hof war eine wahre Auferstehung der Toten, wie sie Hesekiel beschreibt (Kap. 37), da ich sie von meinem Kammerfenster aus erblickte.
Kaum brach der Tag an, so wollten wieder alle Gefangenen Essen haben, besonders aber drängten mich die russischen Offiziere, die doch wussten, dass ich alles hergegeben hatte. Der Hauptmann davon zog den Säbel gegen mich und zwang mich, dass ich in Pantoffeln mitten durch den Morast im Fahrweg springen musste und, wie er sich ausdrückte, Kochfleisch, sollte heißen gekocht oder gebraten Fleisch, schaffen sollte. Auf dem Hof schickte mit der Pächter einen kalten Hasenbraten entgegen, den ich nahm und wieder zurückging. Kaum konnte ich ihn behalten, denn die auf beiden Seiten wachhaltenden Kosaken wollten ihn mir nehmen, allein der Hauptmann stand auf der Pfarrtreppe und blickte mir entgegen, da scheuten sie sich doch etwas. Nun war es gut; die Offiziere aßen und tranken Wein, dann ging es gegen 8 Uhr Sonntagsfrüh fort über Langensalza hin.
4. Fortsetzung und Schluss
An ein Kirchengehen wurde nicht gedacht; aber nachmittags hielt ich Kirche und vor allem eine Dankrede, nachdem ich den 46. Psalm „Gott ist unsere Zuversicht“ verlesen hatte, und schloß mit einem Dankgebet zu Gott, dass er uns erhalten hatte; denn wirklich war das Dorf in großer Gefahr, angesteckt zu werden. Vor der Schule und Kolbens Haus loderten große Feuer, deren Flammen bis unter das Dach schlugen. In der Pfarrküche kochten und backten die gemeinen Kosaken ihre geraubten Schöpfe, dass das Feuer bis an die Decke schlug. Im Hauserden und Stuben hatte man Stroh und Garben geschleppt und sich darauf gelegt und überall brannten Lichte. Im Heizschuppen hatte man ein Feuer angemacht, das beinahe unten an den Boden der darüber hinlaufenden Kammer anschlug. Das musste man sehen und durfte nicht wehren.
Den Sonntag bleib es nun ruhig. Übrigens hatte kein Mensch gelitten als ich, alles hatte sich nur in und um die Pfarre gelagert. Aber auf den Abend kam ein Trupp Kosaken, die aber sich nicht einquartieren ließen, sondern vor dem Tore unter den Bäumen ein Bivouaque (Biwak), wie die Franzosen es zu nennen eingeführt hatten, hielten, wohin ihnen Stroh und Lebensmittel gebracht werden mussten.
Den folgenden Montag als den 25. Oktober gingen mehrere Züge Kosaken vorbei; immer brachen ganze Trupps ein, ließen sich Essen und besonders Schnaps geben und plünderten hernach doch. An jenem einzigen Tag hatte ich nach und nach 20 Kannen Schnaps bei dem Pächter holen lassen, und die Pfarrei war immer das erste Haus, das in die Augen fiel und wo sie nachher plünderten. Einer von diesen Trupps machte es gar zu arg. Es musste ihnen Schränke und Kommode, wenn man es nicht wollte zerschlagen lassen, aufgemacht werden, wo sie alles wegnahmen, was ihnen anstand. Endlich kamen sie auch an den eisernen Kirchkasten, in welchem sich außer den Obsignationen etwa einhundert Thaler an Gelde und die Vasa sacra (Abendmahlsgefäße) befanden. Einer von den Kosaken ergriff ein Beil und wollte ihn erst aufhauen, er besann sich aber anders und forderte von mir und Nikolaus Scheiden, meinem damaligen Knecht, die Schlüssel. Auf mich hielt er die Pistole, besann sich aber auch da anders und nahm die Knute. Ich gab also den Schlüssel her, weil ohne die anderen, die der Rechnungsführer hatte, der Kasten doch nicht aufgehen konnte. Er gab sie Scheiden zum Aufschließen. Da aber dieser es doch nicht vermochte, schlug er ihn mit dem umgekehrten Beil auf den Rücken, dass ich dachte, dass Rückgrat wäre entzwei. Der warf ihm die Schlüssel vor die Füße, die er aufhob und selbst aufschließen wollte. Er drehte aber, da er alle Ränke anwandte, den Kamm ab. Wie er das gewahr wurde, warf er die Schlüssel hin und ging fort.
Mehr als einmal, wenn sie kamen und sahen, dass alles aufstand und nichts mehr zu nehmen war, haben sie mich durchsucht, durchfühlt das Halstuch mir abgetan, weil sie glaubten, ich hätte Geld drinnen versteckt. Meiner armen kranken Frau ging es ebenso, sie musste oft aus dem Bette, diese wurden herausgeworfen und durchsucht, und ich musste sie indes auf den Schoß nehmen. Gern hatte sie einen Oberrock, von gutem Tuch gewebt, sie hatte ihn darum zu sich ins Bett genommen, man fand ihn aber und ging damit auf und davon. Alle Hühner und Gänse waren fort. Ein Trupp Baschkiren fand noch in einem Schranke Butter, davon nahm jeder einen Wecken und aß ihn zum Brot, indem er wechselweise bald in die Butter, bald ins Brot biss. Sie trugen hohe spitzige Mützen von Schaffellen und hatte Pfeile und Bogen.
Ebenso ging es den Dienstag fort, wo ein ganzes Korps über Wittern und Kleinfahner hinzog. In der Nacht kamen noch welche von Wittern und plünderten. Hinter dem Pfarrgarten lagen Kosaken, die die Stakete abrissen und verbrannten. Die von Wittern gekommen, hatten in der hiesigen Windmühle alles Mehl, Schrot und Früchte auf des Müllers Karren geladen und dessen Pferde eingespannt und mit fortgenommen. Im selbigen Tage waren im Orte selbst schon einige Pferde fortgenommen worden. Jetzt ging alles bunt übereck, wie man zu sagen pflegt. Bei mir in meinem Hause stand alles offen. Man kam durch den Garten herein und auch von vorn. Bisweilen kamen wohl auch Offiziere, die ihr Essen mitbrachten, setzten sich und spuckten; bisweilen forderten sie auch wohl, wie ihnen aber nichts gegeben werden konnte, war’s auch gut.
Den 27. oder auch den Mittwoch erschienen auch nun einmal andere Truppen als Russen, es waren preußische Ulanen aus Schlesien, zwei Eskadrons unter dem Kommando eines Herrn Majors von Blacha, und ich erhielt 2 Leutnants, 5 Mann und 12 Pferde, sie kamen aber nicht alle, denn einige von ihnen waren auf Feldposten. Wir hatten eine große Freude, weil wir von nun eigentlich Deutschen mehr geschützt zu sein glaubten. Indes gingen sie schon den 28. wieder fort, weil sie zum Belagerungskorps von Erfurt bestimmt waren. Da noch immer viele Kosaken vorbeizogen, so riet ich den Gerichtsschöppen, sich von den Ulanen eine Schutzwache vom Herrn Major auszubitten, die uns gegen die Russen in Schutz nehmen möchte, sie ließen mich aber durch den Herrn Schullehrer Salomon ersuchen, ich möchte es in ihrem Namen tun. Ich tat es, und sehr gefällig gab er mir zwei Ulanen, und da sie niemand ins Quartier nehmen wollte, so nahm ich sie in die Pfarrwohnung und gab ihnen die kleine Stube. Doch blieb nur einer und dieser forderte, dass ich die Einwohner bewegen möchte, bei der Hand zu sein, wenn irreguläre Einfälle von den Russen geschehen möchten, denn man musste sich im Fall der Not auch in Autorität setzen. Ich ließ daher alle Mannspersonen vor die Pfarrwohnung kommen und überzeugte sie von der Notwendigkeit dieser Maßregel, und es war gut, denn gleich den Freitagvormittag erschienen 20 Kosaken, forderten 30 Malter Hafer und Fourage und fielen zugleich in die Häuser und wollten plündern. Allein es wurde sogleich gestürmt und alle Mannspersonen versammelten sich sogleich vor der Pfarrwohnung und andere 20 kamen von Gierstädt, Dieses verschaffte Respekt, sie begehrten daher nur noch 20 Malter Hafer und weiter nichts. Sie mussten ihnen aber nach Bienstädt von hiesigen Pferden nachgefahren werden, von da hatten sie solche mit nach Alach und von da wieder mit nach Eisenach genommen. Hier hatten dann die Eigentümer Karren und Pferde verlassen und kamen leer zurück. Ein Pferd gehörte Melchior Kolben, Gerichtsschöppe, und das andere Andreas Schierschmidt, Kirchenrechnungsführer. Vorher hatten die Russen auch schon dem Pächter zwei Pferde, dem Gerichtsschöppen Melchior Bufleben eins und Asmus Degenhardt und Heinrich Waltern eins genommen.
Von da aus wurde es ziemlich ruhig. Ich musste den Schutzposten noch drei Wochen im Quartier behalten, weil ihn kein Mensch haben wollte, da er ein sehr böser Kerl war. Er hieß Münzer und stammte, wie er selbst zu beweisen suchte, von dem berüchtigten Münzer im Bauernkriege im 16. Jahrhundert ab. Endlich wurde er in die Schenke quartiert, wo er der Gemeinde etliche 20 Thaler gekostet hat, mir gewiß auch ebensoviel, wenn nicht noch mehr.
Gegen den Advent bekamen wir hier wie in allen Dörfern um uns her preußische Infanterie zur Einquartierung, die mehrmals abwechselten, weil sie zum Belagerungskorps von Erfurt gehörten. Da aber gegen Weihnachten diese Festung enger eingeschlossen wurde und sich die Truppen näher an die Stadt hinzogen, so verloren wir sie ganz, und den Tag vor Weihnachten marschierte alles fort. Die Einwohner mussten aber mit allen im ganzen Lande stark liefern, da Gotha von dem Belagerungskorps des Herrn General von Kleist die 10. Brigade allein zur Verpflegung übernommen hatte. Daher war es so traurig für uns alle, dass sich die Belagerung so sehr in die Länge zog und schien, als wenn es kein rechter Ernst wäre; denn man hörte nur selten eine Attacke, wo der Kanonendonner auch auf meiner Studierstube gehört werden konnte. (Die Stadt wurde im Januar 1814 besetzt, die Zitadelle ergab sich erst im Mai.)