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Kirschzeit ist

Heute wie vor hundert Jahren. Doch so wie auf dem Foto gibt es die gemeinsame Ernte mit der ganzen Familie nur noch in den seltensten Fällen. Heute verrichten Gastarbeiter die aufwendige und schwere Arbeit in den Obstplantagen.

Otto Fischer – der letzte Inspektor der Seebach’schen Güter in Großfahner

Otto Fischer, auf dem Foto zweiter von links, wurde am 27. August 1904 in Bad Langensalza geboren. Nach dem 1. Weltkrieg machte er sein Abitur und studierte in seiner Heimatstadt Landwirtschaft. Als Eleve fand er eine Anstellung auf dem Pfannmüller-Hof in Siebleben, wo er drei Jahre arbeitete. Dieser Hof besaß neben der Landwirtschaft eine Spedition mit Fuhrwerken, drei Gespanne für die Stadt und Umgebung, zwei schwere Pferde für die Brauerei, zwei weitere für die Spedition, zwei leichte Pferde für Trauerzüge und zwei Reitpferde. Otto Fischer oblag es, sich um die Spedition und den gesamten Hof zu kümmern. Nach der Zeit als Eleve ging er für zwei Jahre nach Detmold und besuchte dort die Reit- und Fahrschule, wo es ihm sehr gut gefiel. 1929 kam er zurück nach Gotha und bewarb sich auf dem Gut Albert Wagner in der Eschleber Flur, wo er zwölf Jahre blieb. Im Jahr 1936 heiratete er Erna Zitzling aus Gotha. Beide zogen 1942 nach Großfahner, denn Otto Fischer wurde vom Rat der Stadt Gotha auf das Fahnersche Gut der Familie von Seebach versetzt. Der hiesige Inspektor war an die Kriegsfront abkommandiert worden. Das Gut der Familie von Seebach in Großfahner besaß etwa 163 ha Land und insgesamt 300 ha Wald, zwei große Schlösser, die den Mittelpunkt des Dorfes bildeten und mächtige Nebengebäude. Dazu gehörten auch zwölf Katen für die Gutsarbeiter, das Großmutterhaus und der Schlossgasthof sowie eine Gärtnerei. Inspektor Fischer oblag die gesamte Verwaltung mit Lohnabrechungen, An- und Verkauf von Waren aller Art und die Anwerbung von Arbeitskräften, die nicht selten aus dem Gefängnis von Gräfentonna kamen. Ein Vorfall, bei dem Otto Fischer zugegen war, blieb den Fahnerschen bis heute in Erinnerung: Eine Gutsarbeiterfamilie mit vielen Kindern war sehr arm und hatte wenig zu Essen. Um seine Kinder satt zu bekommen, stahl der Mann einen Sack Erbsen aus dem Vorrat des Gutes. Der Sack hatte leider ein Loch und so konnte man den Weg des Erbsendiebes leicht verfolgen. Der Mann wurde vom Gutsherrn und Inspektor Fischer vorgeladen und gestand die Tat. Man beließ es aber bei einem Protokolleintrag und einer Verwarnung. Hätte der Delinquent um die Erbsen gebeten, so hätte man sie ihm sicher gegeben, sagte der Inspektor.
Die Anstellung auf dem Gut Großfahner dauerte nur drei Jahre, da die Adelsfamilie von den sowjetischen Besatzern enteignet und aus Thüringen vertrieben wurde. Durch die Aufteilung der Ländereien entstanden 15 Neubauerngehöfte. Die beiden Schlösser wurden 1948 auf Anordnung der Besatzer und des Landrates von den Bürgern abgetragen.
Otto Fischer kam 1953 durch einen tragischen Unfall in Waltershausen ums Leben. Er war gerade 49 Jahre alt. Er hinterließ seine Frau und vier Kinder. Die Familie von Seebach pflegt den Kontakt zu den Fischers bis heute. Seit der politischen Wende besuchen sie sich gegenseitig jedes Jahr. Seine Witwe, Frau Erna Fischer, starb 1998 im Alter von 94 Jahren.

Der „Ausbimmler“ – ein ausgestorbener Beruf

Eine meiner Erinnerungen aus einer freundlichen, friedlichen Kindheit in Großfahner ist die an einen Mann, der eine nun völlig ausgestorbene Tätigkeit ausübte, nämlich das „Ausbimmeln“. In unserer Zeit kommt der „Ausbimmler“ oder Schütz nur noch als Karnevalsfigur vor. Welche Aufgaben hatte dieser Mann? Er war Gemeindediener, Gemeindearbeiter, hatte amtliche Mitteilungen an die Gemeinde zu verkünden, zum Beispiel, wann Kohlenkarten, Lebensmittelmarken usw. ausgegeben wurden.
Ein Ausbimmler, an den sich sicher viele ältere Einwohner noch erinnern, war Otto Hagenbring, auch „Otto Bim“ oder „Otto August“ genannt. Der Bauernsohn Otto Hagenbring wurde 1883 in Großfahner geboren. Er war Fleischbeschauer und arbeitete während des Krieges in Gotha als Friedhofsgärtner. Otto Hagenbring war bis Ende der 50er Jahre als Gemeindediener in Großfahner angestellt. Jeden Tag zog er mit der „Bimmel“, einer großen Glocke, durchs Dorf, blieb an markanten Stellen stehen und nach dem „Bimmeln“ ertönte sein lang gezogenes „Beeekanntmachung“. Sofort öffneten sich Türen und Fenster und die Einwohner lauschten gespannt. Otto Hagenbring war ein aufgeschlossener, freundlicher Mann, stets lustig. Ich erinnere mich an folgende Begebenheit: Meine Schwester und ich hatten die ungeliebte Aufgabe, freitags die Schuhe der ganzen Familie zu putzen, die oft von der Feldarbeit ganz schön verschmutzt waren. Seufzend machten wir uns an die Arbeit. Da kam „Otto Bim“ die Straße herunter, schaute bei uns herein und meinte: „Na, ihr Määchen, was guckt ihr so traurig? Ihr könnt mir gratulieren, ich bin heute 17 geworden.“ Er meinte natürlich 71! Otto Hagenbring war nicht nur Ausbimmler, sondern auch Kirmesvater und aktiv im Karneval tätig. Er besorgte unter anderem die Kostüme, eben ein „Hans Dampf in allen Gassen“.
Beim Bau des neuen Kindergartens war er natürlich auch dabei, war überhaupt kinderlieb und hatte oft Bonbons für die Kindergartenkinder in der Tasche. Die Bonbons reichten dann manchmal nicht mehr für die eigenen Kinder. Später folgte Otto Hagenbring seiner Tochter nach Eisenach, dann nach Jena, wo er im Alter von 93 Jahren verstarb. Nachfolgende Ausbimmler waren Karl Fiedler und Paul Kühn.
Über letzteren ist auch eine lustige Begebenheit überliefert. Paul Kühn, der mit dem Lesen Schwierigkeiten hatte, wurde von einer freundlichen Nachbarin mit Hilfe von Kinderbüchern so weit gebracht, dass er die Mitteilungen einigermaßen vom Blatt ablesen konnte. Eines Tages hatte er zu verkünden, dass der Landfilm im Schenksaal den Film „Der Tiger von Eschnapur“ zeigt. Paul Kühn machte daraus: „Der Tiger in der Eschenberger Flur“.
In den 60er Jahren zog auch im Dorf die moderne Technik ein und der Ausbimmler wurde durch den Dorffunk ersetzt, der allerdings auch oftmals ins Stottern kam. Heutzutage hat jede Familie ihre eigenen Medien zu Hause in Form von Zeitungen und Amtsblättern und man muss aufpassen, Mitteilungen und Termine rechtzeitig mitzubekommen. Irgendwie war der persönliche Kontakt zu einem „lebendigen“ Medium aber doch schöner.

Marlis Springer, Großfahner

 

Der Ursprung des Ortsnamens und seine Bedeutung

Die Herkunft des Ortsnamens Großfahner zu deuten, ist nicht ganz einfach, da er wohl zu den etwas Ungewöhnlicheren zählen dürfte. Einige Sprach-, Geschichts- und Heimatforscher haben sich bereits daran versucht, Licht in das Dunkel der Namensgebung zu bringen.
Die erste Schreibweise Großfahners, zugleich die erste urkundliche Erwähnung unseres Ortes, erscheint 874 in einer Abgabenliste (Zehnt) des Klosters Fulda. Als Uuanari item Uuanari werden die Orte Groß- und Kleinfahner bezeichnet. Später wurde daraus Yaneri (Fanari) und im 9. Jahrhundert heißt Großfahner Fanre. Als mögliche Namenspaten werden die Herren von Vanre oder Vanri gehandelt, in deren Besitz Großfahner wahrscheinlich von 1370 bis 1412 war. Ist der Name Großfahner womöglich eine Ableitung aus den Besitzverhältnissen dieser Zeit? Ortsbezeichnungen rühren häufig von alten Besitzern her, doch werden diese Orte oft als -hausen, oder -stedt, jemandes Haus oder Wohnstätte, genannt. Artur Meng (1933) hält in seiner Zusammenfassung über den Ursprung des Namens Fahner fest, dass Großfahner eine Ableitung von dem althochdeutschen, zusammengesetzten Wort „gundfanari“ sein könnte. Dieses Wort bedeutet: „Einer, der das Feldzeichen voranträgt.“ Er weist auch auf das gleiche Wort im Mittelhochdeutschen hin, das dort als vaner, vener, venre vorkommt, was soviel wie Fähnrich bedeutet.
Die Herren von Vanre oder Vanri waren die Kammerherren der Landgrafen von Thüringen. Von diesen wurden sie bereits 1370 mit dem Schloss in Großfahner belehnt. In den Ausführungen von J.G.A. Galletti (1781) ist zu lesen, dass ein Heinrich von Vanre 1227 den Landgrafen Ludwig IV auf seinem Kreuzzug begleitete. Neben dem Amt der Erbkämmerer waren die Herren von Vanre auch die Banner- oder Fahnenträger der Thüringer Landgrafen. Fest steht, dass das Geschlecht derer von Vanre zu dieser Zeit sehr weit verbreitet war und deshalb der Ursprung seines Namens wohl zweifelhaft auf die Tätigkeit eines Vorfahren als Fähnrich oder Bannerträger zurückzuführen ist. Die Übertragung des Familiennamens auf den Ort müsste wohl sehr viel früher geschehen sein, als die Herren von Vanre überhaupt im Besitz der Lehen auf Großfahner waren. Durch Quellen lassen sich die von Vanreschen Besitzverhältnisse vor dem 14. Jahrhundert bisher leider nicht sicher belegen.
Die Endung „er“ oder „ar“ kann auf das Umfeld des Ortes hindeuten. Es ist in etwa gleichzusetzen mit öde und leer (von Seebach, 1978). Die Ortschronik belegt, dass Großfahner bis zum Beginn des Obstanbaues keine besonderen Erwerbszweige besaß. Artur Meng legt in seiner auf Florschütz bezogenen Ausführung dar, dass die Schlösser auf den Grundmauern einer alten Wasserburg erbaut wurden. Die älteren Bürger werden sich erinnern, dass es vier Ecktürme, von welchen zuletzt nur noch der Hexenturm stand, und einen tiefen Burggraben besaß. Die Wasserburg, welche 1646 im 30jährigen Krieg zerstört wurde, wurde in einem sumpfigen oder zumindest sehr feuchten Gebiet erbaut, um Angreifer möglichst frühzeitig abwehren zu können. Auch die Bezeichnung des Baches Jordan, auf Althochdeutsch „Gordano“ bedeutet soviel wie Sumpf (gor = Sumpf).
Einen weiteren bedeutenden Hinweis gibt das Wort „fanare“, was soviel bedeutet wie Tuchwirker oder Weber. Reinhold Andert (1995) schreibt in seinem Buch „Der Thüringer Königshort“, dass in Großfahner einstmals die königliche Textilwerkstatt beheimatet gewesen sei. Diese Deutung erscheint glaubhaft, wenn man annimmt, dass die Thüringer Könige ihren Herrschaftssitz in Herbsleben (in der ersten Erwähnung als Herifridesleiban oder Her-friedes-leba bezeichnet), unweit von Großfahner hatten, denn damit bekommen auch andere Ortsnamen der Umgebung einen Sinn. Gierstedt zum Beispiel wird als die königliche Waffenschmiede gedeutet, denn das alt-hoch-deutsche Wort „Ger“, Gierstedt wird im Jahre 1288 als Gerstete bezeichnet, bedeutet Speer oder Waffe (Andert, 1995). Als weiteren Beweis für die Zunft der Tuchwirker führt Reinhold Andert den Fund eines Reihenfeldergrabes der alten Thüringer aus dem 5. Jahrhundert an, welches dreizehn Körpergräber und ein Pferdegrab enthielt. Interessant sind dabei die Grabbeigaben, unter welchen sich ein Webschwert und eine Knochennadel befanden. Pferdebestatttungen lassen sich für die altthüringer Zeit und nur in Verbindung mit Adelsgräbern nachweisen (Andert, 1995) Nach Meng ist noch festzuhalten, dass die Endung „ari“ in Uuanari und Yaneri bzw. Fanari auf eine, einen Beruf ausübende Person hindeuten könnte. Fahner kann also auch als „Fahnenmacher“ aufgefasst werden. Tuchwirker und Fahnenmacher? Ein Zusammenhang zwischen diesen Auslegungen lässt sich nicht grundlegend ausschließen. Vielmehr unterstützen diese Deutungen die Vermutung, dass Großfahner im 5. Jahrhundert tatsächlich das Zentrum der königlich-thüringischen Textilmanufaktur gewesen sein könnte. Mit der Eroberung Thüringens durch die Franken im Jahre 531 dürfte auch die Zeit der Tuch- und Fahnenmacherei in Großfahner zu Ende gegangen sein.
Uuanari, Yaneri, Fanari, Vahnern, Fanre, Faner und Fahner – die verschiedenen Schreibweisen entstanden im Lauf der Jahrhunderte und unterlagen immer wieder Veränderungen. Verkürzungen, Weglassungen oder Ergänzungen haben den Charakter der Ortsnamen verändert und machen die Deutung schwierig. Die Auslegung Großfahners als Textil- und Fahnenmacherwerkstätte der Thüringer Könige ist jedoch wahrscheinlich.

Literatur:
Andert, Reinhold (1995): Der Thüringer Königshort. Dingsda Verlag, Querfurt.
Galletti, Johann Georg August (1781): Geschichte und Beschreibung des Herzogthums Gotha. Gotha.
Meng, Artur (1933): Was bedeutet der Name Fahner? In: Kirchenglocken, Evangelisches Gemeindeblatt für die Kirchengemeinden Großfahner, Kleinfahner und Gierstedt.
von Seebach, Alexander Freiherr (1978): Mit dem Jahrhundert leben – Eine Familie im sozialen Wandel. Heinz Holzberg Verlag, Oldenburg.

Die Dorfschmiede in Großfahner

Nach einem Zeitzeugengespräch mit Margot und Karl Heinz Schulz.

Vor etwa 50 Jahren noch war die Schmiede neben den Werkstätten der Stellmacher, Wagner oder Tischler elementarer Bestandteil eines Dorfes. Hufbeschlag, das Herstellen und Aufziehen von Radreifen, das Schmieden von landwirtschaftlichen Geräten und Beschlägen aller Art und noch viel mehr gehörten zum Können eines guten Schmieds.
Heute jedoch ist es still geworden um dieses altehrwürdige Handwerk, dessen Geheimnisse und Traditionen schon vor Tausenden von Jahren von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Durch die Technisierung in der Landwirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg und dem damit verbundenen Wegfall der Arbeitskraft von Pferd und Rind erübrigte sich der Hufbeschlag. Das melodische Kling-Klang des Hammers auf dem Amboss und das Zischen des glühenden Eisens im Wasserbad verstummten zunehmend.
Werfen wir einen Blick in eine Zeit, in der das Schmiedehandwerk noch Lohn und Brot hatte und die Schmiede zum Dorf gehörte wie die Kirche. Dabei müssen wir gar nicht so weit zurück gehen. Die Dorfschmiede an der Hauptstraße in Großfahner wurde vermutlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet. Sie gehörte damals dem Schmiedemeister Jung. Aus dieser Zeit stammt eine „Zeichnung zum Umbau einer Schmiedewerkstätte für den Schmiedemeister Jung“. Sie zeigt die Lage der Schmiede und die Baulichkeiten, die sich innerhalb von etwa 80 Jahren nicht wesentlich veränderten. Peter Schulz, ein Schmiedehandwerksgeselle aus der Rheinpfalz, kam auf der Walz nach Großfahner. Er verliebte sich in die Tochter des Schmieds, Luise Jung, heiratete sie 1880 und übernahm die Schmiedewerkstätte später von deren Eltern. Sein Sohn Hermann Schulz (1881-1972) erlernte ebenfalls das Schmiedehandwerk von seinem Vater und übernahm die Werkstätte 1925 nach dessen Tod. Er wiederum gab sein Wissen an seinen Sohn Karl Schulz (1905-1967) weiter, welcher seinem Sohn Karl Heinz das Schmiedehandwerk beibrachte. Vielen Einwohnerinnen und Einwohnern wird Hermann Schulz noch bekannt sein. Auch den schwierigsten Pferden zwang dieser kräftige Mann mühelos das Eisen auf oder schmetterte soeben bereifte Räder zum Abkühlen in die Schwemme (Seebach, 1978). Wurde ein junges Pferd das erste Mal beschlagen, so hatte der Besitzer einen Kasten Bier auszugeben. Die Schmiede war mehr als ein Arbeitsplatz. Wenn die Landarbeit bei Regenwetter ruhte, trafen sich die Männer des Dorfes häufig in der rußgeschwärzten Schmiede und handelten alle möglichen Geschäfte aus oder wetteten, während die Frauen sich im Backs zum Plausch zusammenfanden. Bei verlorenen Wetten kam es schon einmal vor, dass der Verlierer den schweren Amboss um die Schwemme tragen musste. Auch war es ein ungeschriebenes Gesetz, zum Anzünden einer Zigarette nicht das Streichholz sondern ein Stück Schmiedekohle zu verwenden. Ein Umstand, welcher der Gesundheit nicht gerade zuträglich war. Verstöße wurden aber ebenfalls mit einer Runde Bier „geahndet“. Kam einmal der Schlotfeger nach Großfahner, verschwanden dieser und der Meister oft im Hamster zum Kartenspiel. Die Lehrlinge und Gesellen hatten dann einen ruhigen Tag. Da die Arbeit in der Schmiede gelegentlich nur wenig einbrachte, betrieb die Familie außerdem noch eine kleine Landwirtschaft, um sich mit Lebens- und Futtermitteln versorgen zu können.
Im Lauf eines Jahres fielen die verschiedensten Schmiedearbeiten an. Im Frühjahr mussten landwirtschaftliche Geräte repariert und ausgebessert werden und der Hufbeschlag für Pferde und Ochsen wurde ausgeführt, der etwa alle drei Monate erneuert werden musste. An einem Tag konnten mit zwei Mann vier bis fünf Pferde beschlagen werden, denn dieses war Knochenarbeit. Nahm der Schmied den Pferdehuf auf, so lehnte es mit seinem Gewicht auf ihm. Schwere Arbeitspferde wogen immerhin um die 20 Zentner. Für ein Pferd brauchte der Schmied etwa anderthalb bis zwei Stunden. Im Herbst kam es vor, dass der gemeindeeigene Schneepflug überholt werden musste, um ihn einsatzfähig zu machen. Dieser wurde noch mit Pferden gezogen. Im Winter gab es etwas weniger zu tun und der Schmied beschäftigte sich mit der Herstellung von Keilen, Beschlägen oder Ähnlichem. Das Material besorgte er sich vom Komturhof in Erfurt. Mit Pferdewagen und später mit dem Traktor wurde das Schmiedeeisen nach Großfahner transportiert. Jedes noch so kleine Stück Eisen fand seine Verwendung. Für den Hufbeschlag kaufte der Schmied fertige Rohlinge, an welche nur noch Griffe und Stollen angearbeitet werden mussten. Lediglich bei der Gesellenprüfung musste ein Hufeisen aus einen Stück Roheisen hergestellt werden. Dies verlangte dann das ganze Können des Prüflings. Seine Aufträge bekam der Schmied von den Landwirten oder er holte sie sich von der Gutsverwaltung. Der Hufbeschlag für die Pferde und Ochsen des Gutes oblag nur ihm und wurde ständig vergeben (Seebach,1978). Die Rechnungen wurden vom Meister noch mit der Hand geschrieben und dann vom Lehrling oder Familienangehörigen zum Kunden gebracht. Nach dem Krieg gab es Regelpreise, die eingehalten werden mussten. Ein Pferd beschlagen kostete etwa 15 bis 20 Mark. Von diesem Geld mussten alle Unkosten beglichen werden.
Mit der Mechanisierung begann der Niedergang des Schmiedehandwerks auch in Großfahner. Pferde und Ochsen wurden erst durch Dampfmaschinen und später durch Traktoren ersetzt. Die LPG richtete eine eigene Werkstätte für die Reparatur ihrer schweren Maschinen ein und das Aufkommen von transportablen und zudem erschwinglichen Elektroschweißgeräten ersetzte die Autogenschweißung mit Sauerstoff und Acetylen und machte viele Arbeiten, die früher in der Schmiede ausgeführt wurden, zu Hause möglich.
Hermann Schulz, der Schmied mit Leib und Seele war, hat den Abriss seiner Schmiede und den Tod seines Sohnes Karl nur schwer verwunden. Alt und unmodern geworden, musste die Schmiedewerkstatt Ende der 60er Jahre auch dem Straßenbau weichen. Mit ihr verschwand ein Stück Dorfgeschichte und eine lange Tradition fand ihr vorläufiges Ende. Ausgestorben ist das Schmiedehandwerk glücklicherweise noch nicht. Wenn es auch nicht mehr in jedem Dorf eine Schmiede gibt, so kann man hier und da doch noch einem Schmied bei seiner Arbeit über die Schulter schauen. Während die Pferde früher zum Schmied gebracht wurden, kommt dieser heute mit seinem Feuer und den Werkzeugen zu den Pferden, um ihnen das Eisen aufzuzwingen.
Die Schmiede an der Hauptstraße war nicht die einzige in Großfahner. Familie Büchner betrieb eine weitere in der Dachwiger Straße. Über die Geschichte dieser Schmiedewerkstatt wird noch zu berichten sein.

Herzlicher Dank gebührt Frau Margot Schulz (†) und Herrn Karl Heinz Schulz für das Gespräch und die zeitweise Überlassung alter Familiendokumente und Fotos.

Literatur:
Seebach, A. Frhr. von (1978): Mit dem Jahrhundert leben – Eine Familie im sozialen Wandel. Holzberg, Oldenburg.

Seymour, J. (1998): Vergessene Künste – Bilder vom alten Handwerk. Urania, Berlin.

Die Gefallenen und Vermissten des 2. Weltkriegs

Am 13.11.2005, dem Volkstrauertag, wurde in Großfahner das Denkmal für die Toten des Ersten und Zweiten Weltkriegs aus unserer Gemeinde mit einem Gedenkgottesdienst und einer bewegenden Rede von Pastorin Dreyer und Bürgermeisterin Schneider eingeweiht. Das Denkmal, im Jahr 1922 für die Gefallenen und Vermissten des Ersten Weltkriegs errichtet, wurde kurz zuvor grundlegend saniert und drei neue Tafeln mit den Namen der Toten des Zweiten Weltkriegs angebracht. Sie erinnern nun stellvertretend an das Leid und den Tod vieler Millionen Menschen und mahnen die Lebenden zum Frieden. Dass das Leid, welches der Zweite Weltkrieg über die Menschen in Europa und der Welt brachte auch in unserer Gemeinde noch längst nicht vergessen ist, zeigte die große Anteilnahme der Bevölkerung an der feierlichen Einweihung. Es waren die Geschwister, Kinder und Enkel, die ihren Angehörigen an diesem Tag gedachten. Vielen standen die Tränen in den Augen, als sie eine kleine Kerze als Symbol des Lichts, welches die Dunkelheit durchdringt, entzündeten und auf dem Steinkreis um das Denkmal abstellten. Endlich, nach 60 Jahren haben viele einen Ort gefunden, an dem sie ihre Trauer über den schweren Verlust eines geliebten Menschen zum Ausdruck bringen können.
Die Toten des Zweiten Weltkriegs haben in unserer Gemeinde ihre Namen zurückbekommen. Damit das Leid des 2. Weltkrieges auch ein Gesicht erhält, haben wir eine Gedenktafel mit den Fotos, Namen und Daten der Gefallenen und Vermissten zusammengestellt.

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Gedenktafel für die Gefallenen und Vermissten des 2. Weltkriegs aus Großfahner.

Wir hoffen, dass wir mit unserer Gedenktafel einen kleinen Beitrag zum Frieden leisten und zum NachDenken anregen können. Nur wenn die Toten, gleich welcher Nationalität, Herkunft oder welchen Glaubens nicht vergessen werden und der Krieg mit all seinen Grausamkeiten im Gedächtnis der Menschen bleibt, können zukünftige Konflikte vielleicht vermieden werden.

Wenn Sie sich für die Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge interessieren, finden sie unter www.volksbund.de weitere Informationen. Hier können Sie auch eine Gräbersuche nach Angehörigen oder Bekannten durchführen.

Wir danken allen Leihgebern von Fotos, insbesondere aber Frau Gerda Unbehau für ihren unermüdlichen Einsatz bei der Beschaffung derselben.

Ein Nachwort zu diesem Beitrag

Wenn wir an dieser Stelle über die Menschen aus unserem Dorf berichten, die im 2. Weltkrieg als Soldaten starben, so verschließen wir nicht die Augen vor der Tatsache, dass dieser ideologisch geführte Krieg ein Angriffskrieg war, der von deutscher Seite begonnen wurde. Wir verschließen nicht die Augen vor dem Tod der Soldaten und Zivilisten anderer Länder, den Deportationen und der Ermordung der Mitmenschen jüdischen Glaubens oder anderen politisch Verfolgten, derer die Widerstand leisteten oder aus anderen Gründen sterben mussten.

Wir geben mit diesem Beitrag den Menschen aus unserer Mitte, den Vätern, Ehemännern, Brüdern und Söhnen des Ortes eine Stimme. Die Botschaft auch ihres gewaltsamen Todes mahnt uns Menschen heute zu Frieden, Toleranz, Mitgefühl und Verständigung unter den Völkern zuhause, in Europa und in der Welt.

Das Kriegsende 1945 in Großfahner

Eiligst ausgehobene Schützengräben zur Verteidigung des Dorfes waren noch nicht fertig gestellt. Mit der Schnelligkeit des amerikanischen Vormarschs hat in Großfahner niemand gerechnet. Es ist zwei mutigen Bürgern zu verdanken, dass Großfahner in diesen Tagen von den amerikanischen Truppen nicht beschossen wurde. Olga Nöthlich organisierte ein altes weißes Bettlaken und der Landwirt Fritz Brill befestigte es in der Nacht an der Kirchturmspitze. Anschließend verbarrikadierte er sich im Keller des Schlossgasthofes, in der Hoffnung, dass dort niemand nach ihm suchen würde. Den Schlüssel zum Kirchturm versteckte er. Beide riskierten im letzten Moment des Krieges ihr Leben um das vieler anderer zu retten.
Die amerikanischen Truppen kamen von Süden über die Fahner Höhe. Sie besetzten die ersten Häuser an den Ortseingängen sowie an allen wichtigen Straßenkreuzungen. Olga Stichling, Familie Weiss, Familie Fleischmann und viele andere mussten ihre Häuser räumen und bei Freunden oder Verwandten unterkommen. Nur zum Versorgen der Tiere durften sie ihre Gehöfte betreten.
Panzer wurden unter anderem am Schenkshof, in der Langen Gasse und in der Eschenberger Straße aufgestellt. Mit drei Mann, in der Regel waren das ein Offizier und zwei farbige Mannschaften, wurden alle Häuser nach Waffen, Munition und NS-Symbolen durchsucht. Die Menschen hatten für den Ernstfall meist vorgesorgt. Kissen, Wolldecken, Wasser und Verpflegung wurden in die Keller geschafft oder Konserven irgendwo im Garten vergraben.
Am Hasenacker nahm die Artillerie mit sechs Geschützen Stellung. Die Kirschen standen schon in voller Blüte als die Geschütze zwischen die Bäume gefahren und die Äste zur Tarnung heruntergehackt wurden. Das Ziel des Beschusses war Gebesee. Auch im Schaffenstiel, einer kleinen Gasse zwischen der Eschenberger Straße und der Hintergasse, nahm ein Geschütz Stellung und beschoss Döllstedt und Herbsleben. Es war der Hof von Fritz Neubert in Döllstedt, der am schlimmsten getroffen wurde.
Um den Nachschub und die Benzinversorgung zu sichern, wurden von den Amerikanern alle 500 Meter riesige Benzin- und Ölfässer an den Straßenrändern abgestellt. Sie sollten die großen Fahrzeugkolonnen versorgen, die sich weiter nach Nordosten bewegten. Die Versorgungslage war allgemein sehr angespannt, obwohl niemand fürchten musste, um Lebensmittel bestohlen zu werden. Lediglich Eier wurden von den Soldaten verlangt, weil sie dachten, dass man diese nicht vergiften konnte. In der Langen Gasse wurde eine Feldküche eingerichtet. Die Soldaten wurden mit Lebensmitteln versorgt, die es in Deutschland seit Jahren nicht mehr zu kaufen gab. Viele Soldaten schenkten den Kindern im Ort Schokolade, ein besonderer Genuss, der vielen in Erinnerung blieb. Weisungen der Besatzer wurden vom Ausrufer Otto Hagenbring immer aktuell verbreitet. Alle Waffen, Radios und Photoapparate mussten abgeliefert werden. Die Waffen wurden inspiziert und am Schenksmast zerstört. Es kam auch vor, dass sie von den Soldaten als „Kriegssouvenir“ einbehalten wurden. Plünderungen fanden ebenfalls statt und wertvolle antike Gegenstände etwa aus dem Schloss wurden entwendet. Der Schlossgraben war es auch, der das besondere Interesse der Besatzer weckte. Es wurde verraten, dass Waffen aus dem Schloss und dem Hamster in diesen geworfen wurden, um sie nicht dem Feind in die Hände fallen zu lassen. Die Feuerwehr musste den Graben auspumpen und die Amtwalter der NSDAP hatten die Aufgabe, die Waffen aus dem Schlamm zu bergen. Sie wurden abgewaschen, nach Döllstedt transportiert, in eine Lehmgrube abgekippt und vergraben. Die Besatzer verhängten auch eine strenge Ausgangsperre. Die Missachtung dieser zog schwere Konsequenzen nach sich.
Als die Amerikaner Thüringen räumten, machte sich unter der Bevölkerung Angst breit. Sie hatten von den Übergriffen der russischen Soldaten auf Frauen gehört und fürchteten nun das gleiche Schicksal. Eine Weisung des russischen Militärs sollte jedoch solche Vorfälle verhindern, damit der Ruf der Besatzer nicht noch weiter beschädigt wird.
Die Russen kamen mit Pantjewagen, kleinen Holzwagen mit einem Gespann davor. Ihr „Urrrrääääh“ war schon von Weitem zu hören. Als sie auf der Dachwiger Chaussee in das Dorf einfuhren, sahen die Bewohner, dass die Soldaten ausgehungert und ohne richtige Uniformen waren. Ihre Schädel waren kahlgeschoren und sie trugen nur ein Krätzchen auf dem Kopf. Sie stahlen und plünderten alle Vorräte, da sie kaum etwas zu essen hatten. Lediglich durch ihre mitgebrachten Viehherden konnten sie sich mit Fleisch versorgen. Im Schloss, die Familie von Seebach war zuvor ausquartiert worden, wurde eine Militärkommandantur eingerichtet. Die Soldaten raubten, plünderten und nahmen sich, was sie wollten. Übergriffe auf die Bevölkerung sind hingegen nicht bekannt. Die Amtsinhaber der NSDAP wurden gefangen genommen und in Straflager nach Buchenwald oder weiter nach Osten deportiert. Wenige kehrten nach Hause zurück.
Der 8. Mai 1945, der Tag des offiziellen Kriegsendes in Europa, ist vielen Menschen in Erinnerung geblieben. Nicht als ein Tag der Befreiung oder etwa der Kriegsniederlage. Für sie stand das Leben und Überleben nach dem Krieg inmitten von Trümmern und Chaos im Mittelpunkt. Es war die Stunde Null.